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Work. Life. Balance?

Heute ist Karfreitag. Ich habe soeben ein WebEx Meeting beendet und bearbeite jetzt bis Ostermontag mit meinem Kundenteam auf einem Shared Doc einen Vertragsentwurf (ja, der ist schon eilig – wir haben uns alle nicht darum gerissen, um 08:00 am Rechner zu sitzen). Ich möchte nicht behaupten, dass so etwas vor Corona nicht vorgekommen ist, üblicherweise war es allerdings ein kleiner Kreis von Top-Level Leuten, die so gearbeitet haben.

Nach 2 Wochen Lockdown kontaktieren mich meine Kunden – und zwar auf allen Hierarchieebenen – mehr oder minder 24/7.

Was ist passiert?

Die arbeitstätige Bevölkerung sitzt zu Hause. Das Homeoffice ist am Küchentisch eingerichtet (sprich: Das Laptop steht da und ist online). Die Grenzen zwischen „Jobtime“ und „Private Time“ verschwimmen zunehmend. Niemand steht hinter Dir und schaut Dir über die Schulter, ob Du auch wirklich arbeitest, etwas „Produktives“ tust und ob Du das, was Du machst, auch gut genug machst.

Es ist vollkommen egal, ob Du am Wochentag mit einem Glas Wein auf dem Balkon sitzt, oder am Feiertag arbeitest. Das, was erledigt werden muss, muss in der richtigen Qualität zum richtigen Zeitpunkt erledigt sein. Der Rest ist egal. Man hört auf, zu arbeiten, wenn man merkt, dass man mental unproduktiv wird und macht stattdessen Sport. Man setzt sich mit seiner Aufgabe auch am Abend oder am Wochenende an den Tisch, wenn man gerade eine gute Idee zum Thema hat. Weil man die Freiheit hat, sich seine Arbeit und sein Privatleben zeitlich einzuteilen.

Uns langsam dämmert es einem, dass „Work Life Balance“ nicht bedeutet, dass man „schon“ um 18h das Büro verlässt, um die Kinder noch kurz zu sehen, bevor sie im Bett liegen, sondern dass es auch bedeuten kann, dass man sich seine Zeit freier und sinnvoller einteilt. Dass man ausreichend Freizeit hat und dennoch vielleicht sogar mehr und produktiver arbeitet als jemals zuvor. Und vielleicht sogar noch mehr Spaß an der Arbeit hat, als jemals zuvor.

Viele meiner Kunden – speziell große Unternehmen – haben bislang „Homeoffice“ strikt abgelehnt. Meine Hoffnung ist, dass gerade diese Unternehmen ihre Sicht auf den „produktiven Einsatz der Ressource Mensch“ zukünftig einmal grundsätzlich auf den Prüfstand stellen.

Vielleicht hatte Corona neben all dem Schrecklichen dann auch etwas Gutes.

Tartifletterezept

Oi! Soulfood! Oder eher nourriture d’âme? Auf jeden Fall Kalorien en masse! Danke, Joel, für den Tipp. Es geht um einen französischen Kartoffelauflauf namens Tartiflette und handelt sich damit um ein Tartifletterezept. Selbiges benötigt nur wenige, aber dafür sehr hüftintensive Zutaten

1kg Kartoffeln festkochend
3 Becher Créme fraiche
100 ml Weißwein (nicht zu viel Säure!)
500g Reblochon
2 Zwiebeln
500g Schinkenspeck

Das Rezept ist erschreckend einfach dafür, dass man nach Genuss einer mittleren Portion etwa 1/2 Tag paralysiert wie ein Maikäfer auf dem Rücken liegt und nach Schnaps wimmert:

Die Kartoffeln schälen und in dünne Scheiben (etwa 5mm) schneiden. Es gibt verschiedene Rezepte. Die einen kochen die Kartoffeln kurz, die anderen braten sie an, wieder andere lassen sie roh. Ich habe mich für letzteres entschieden, weil das a) einen Arbeitsgang spart und b) die Stärke aus den Sartoffeln dann gleich die Sauce bindet.

Die Creme Fraiche wird gesalzen, gepfeffert und eine Knofizehe (mit der man vorher die Auflaufform ausgerieben hat) kommt fein gewürfelt dazu.

Die Kartoffelscheiben kommen dann in die mit Butter und der Knofizehe ausgeriebene Auflaufform. Immer, wenn eine Schicht Kartoffeln liegt, kommt eine dünne Schicht Creme Fraiche darüber. Bei mir ergab das 3 Kartoffel-CF-Schichten.

Die Form kommt bei 200C in den Herd und bleibt dort für 45 Minuten. Entgegen einiger Rezepte habe ich da nix umgerührt. Rechtzeitig vor Ablauf der Zeit, würfelt man die Zwiebeln und brät erst den Speck an und gibt dann die Zwiebeln dazu, bis sie glasig sind.

Sobald die Dreiviertelstunde rum ist, zieht man diese Mischung zusammen mit dem Wein unter den Auflauf. Aber vorsichtig, damit die Kartoffeln nicht zerbrechen. Darauf kommen dick die Reblochonscheiben, denn es ist ja eine Kartoffelreblochontartiflette.

Das ganze kommt wieder in den Ofen, diesmal ohne Deckel für nochmals so 10-15 Minuten.

Danach waren bei  mir die Kartoffeln genau durch, ohne zu zerbrechen und Wein, Creme Fraiche, Kartoffelstärke und Käse haben sich zu einer ziemlich genialen Mischung verbunden.

War sehr lecker!

(beim nächsten mal experimentiere ich hier wohl mit etwas Muskatnuss, einem Spritzer Zitrone und einigen Kräutern der Provence)

Burmese Days – Pt. 6 Heimreise, Fazit und Reisetipps

31.10.-3.11.
Life’s a beach

Am 31.10. ging es mit dem Taxi vom Lake Inle wieder nach Heho, von dort aus pünktlichst (Abflug und Ankunft jeweils 15“ vor Schedule) nach Thandwe, dem „Strand-Flughafen“. Im Südwesten von Myanmar gibt es tolle Strände. Ngapali ist einer der bekanntesten.

Dort haben wir uns 4 Nächte eingebucht und außer Baden, Essen, Trinken undwasmansonstnochsoamstrandmacht gar nix gemacht. Ein Strand aus superfeinem Zuckersand, ohne störende Steine, eine harmonische Mischung aus Touristen und burmesischen Urlaubern, kristallblaues warmes Wasser. Das ließ echt keinerlei Wünsche offen.

 

 

4.-6.11.
Heimweg in Etappen

Am 4.11. wurden wir viel zu früh am Hotel abgeholt und zum nahe gelegenen Airport gefahren. War aber ganz gut, denn als alle da waren, sind wir einfach losgeflogen (diesmal eine gute halbe Stunde vor ETD). Noch ein Abend in Yangon in der wunderbaren Atlas Rooftop Bar den Urlaub bei einigen gut gemixten Cocktails mit Blick über die Stadt ausklingen lassen. Am 5.11. nochmal kurz zum Kandgawy Lake spaziert, unser abgebranntes Hotel von Tag Eins besichtigt, etwas am Pool gechillt und abends dann von Yangon über Bangkok und Frankfurt nach München zurück.

Eine Abreise mit zwei Zwischenstops ist nur etwas für sehr sehr zähe und geduldige Menschen. Ich bin weder zäh noch geduldig, aber ich wollte nach Hause und da hat der Wille die Mimose überstimmt. Deswegen erspare ich euch auch das Gejammere über die Heimreise mit 1h Flug, 4h Zwischenstop, 11h Flug, weiteren 2,5h Stopover und noch einer Stunde Flug.

 

Fazit und Reisetipps

Es hat sich auf jeden Fall gelohnt, nach Myanmar zu reisen! Ein wunderbares Land, das sich gerade mit viel Schwung dem Tourismus öffnet, dabei aber noch ausgesprochen ursprünglich geblieben ist und viele der üblichen Bequemlichkeiten noch nicht bietet: Kaum einer spricht verständliches Englisch, es gibt nicht an jeder Ecke einen Pub oder ein KFC, außerhalb der Tourismuszentren gibt es nur wenig Infrastruktur. Dafür wimmelt es, mit wenigen Ausnahmen, nicht überall vor Touristen, man sieht noch Ochsenkarren und Bananenblattdächer, die Händler sind nicht über Gebühr aufdringlich und nicht jeder, der einen anspricht, will einem etwas verkaufen.

Wir haben große Teile des Landes gar nicht gesehen (Myanmar ist etwa doppelt so groß wie Deutschland). Gerne wären wir z.B. Noch in den Chin State weiter in Richtung Norden gereist, oder hätten uns ganz im Süden das Mayk Atoll angesehen.

Im Großen und Ganzen würden wir wohl den Reiseablauf wieder so planen, wie wir ihn hier realisiert haben. Am ehesten kann man Mandalay auslassen. Das ist eine Großstadt und lediglich die Mahamouni-Pagode sowie das Teakholz-Kloster sind wirklich sehenswert und lohnen sich (man muss hier der guten Ordnung halber ergänzen, dass wir nicht im Süden im Ancient Kingdom und bei der U-Bein-Bridge waren. Wenn man den Reisestress etwas reduzieren will, kann man nach Mrauk U direkt von Yangon nach Bagan fliegen und die gewonnene Zeit lieber am Lake Inle investieren, da hätte es noch interessante Optionen gegeben.

Hier noch einmal für die, die es interessiert, unser Reiseplan:

Mein Highlight war bereits ganz am Anfang der Rundreise Mrauk U. So zeitraubend es war, mit Flugzeug und 5h den Fluß entlang dort hin zu reisen, so schön war die Flussfahrt. Die Tempel dort waren nicht weniger beeindruckend, als die in Bagan. Wirr waren die einzigen Touristen weit und breit und man fühlte sich wirklich in der Zeit 100 Jahre zurückversetzt. Fahrt da unbedingt hin, falls ihr mal nach Myanmar fahren solltet!

Die Reiserei an sich war überhaupt kein Problem. Wir haben ja alles selber geplant und z.T. vorab gebucht, z.T. auch vor Ort improvisiert. Von insgesamt 12 (!) Flügen in diesem Urlaub waren – mit Ausnahme der Lufthansa – alle Flüge absolut pünktlich und öfters auch überpünktlich (Abflug, wenn alle da waren, Landung dann eben 30 Minuten vor Plan). Der Sitzabstand war in allen burmesischen Airlines – Myanmar National, Yadarnapron, KBZ, FMI, … – so, dass ich mit meinen 1,92 superbequem überall sitzen konnte. Das Fluggerät war immer sehr neu (überwiegend Bombardier ATR-72). Die Taxipreise sind extrem niedrig, man sollte aber vorher den Preis vereinbaren (Yangon Airport in die Stadt 10.000 kyt, Mandalay Airport in die Stadt 30.000 kyt, Heho Airport zum See 30-40.000 kyt. Innerhalb der Städte immer zwischen 2.000 und 5.000 kyt. Mandalay ist teuerer, als Yangon).

Touren bucht man am Besten vor Ort. Im Lonely Planet steht für jeden Ort immer mindestens ein verlässlicher Tour Operator. Wir haben den Boots-Transfer nach Mrauk U über Onestop Myanmar gebucht – ich habe noch nie eine Agentur erlebt, die so schnell und kompetent arbeitet wie die. Kann ich uneingeschränkt empfehlen. Kurz: Es ist überhaupt kein Problem, sich in Myanmar auf eigene Faust durchzuschlagen und gleichzeitig den organisierten Touren der beflissenen Studiosusse und Dr. Tiggesse aus dem Weg zu gehen

Eine SIM Card bekommt man direkt am Flughafen für kleinstes Geld. 7,5 GB für 30.000 kyt. Ich hatte bei Abreise gerade mal 2 GB verbraucht, obwohl ich überall Netz hatte und viel online war (google Maps saves a lot of days!).

In den älteren Reiseführern wird darauf hingewiesen, dass man besser mit einer dicken Tasche voll Bargeld durch Myanmar reisen solle, weil es außerhalb der Großstädte keinerlei Möglichkeit gäbe, Geld abzuheben. Diese Zeiten sind definitiv vorbei. Es gibt überall ATMs, selbst auf dem Lake Inle, oder in Hotelanlagen, so dass man seinen Geldbestand immer wieder auffüllen kann (ich erinnere mich ja noch an Zeiten, in denen man mit Reiseschecks unterwegs sein musste. Dagegen ist das heute der krasse Luxus!). Zu dünn darf das Geldpolster allerdings auch nicht sein, denn Karten werden selten akzeptiert, funktionieren nur in der Hälfte der Fälle (bei meiner MasterCard kam häufig „Format Error -30“) und werden regelmäßig mit einem Aufschlag von 3-3,7% bestraft.

Ein Hinweis für die Spiegeleifanatiker und Tischkulturisten: Es ist in Myanmar vollkommen unüblich, Eier glibberfrei „well done“ zu braten. Man muss daneben stehen und sein Ei bewachen, bis es well done ist. Abgeräumt wird zum Schluss. Man sitzt vor 10 leeren Bierflaschen, Vor- Haupt- und Nachspeisetellern, bis man das Restaurant verlässt. Alles andere wird als unhöflich betrachtet. Und man bestellt – wie überall in Asien – zu seinen Hauptspeisen den Reis und ggf. Gemüse extra. Wir haben öfters entrüstete Touristen beobachtet, die vor ihrem reislosen Curry saßen und die Bedienung strafend ansahen.

Last not least noch einige Gedanken zur politischen Lage in Myanmar: Die Demokratie ist noch ein junges Pflänzchen. Myanmar war über Jahrzehnte eine unschöne Militärdiktatur und die ersten seitens der UNO als „frei“ bestätigten Wahlen haben gerade einmal 2016 stattgefunden. Die Demokratisierung findet nur statt, weil sie vom Militär geduldet wird und das Militär spielt nach wie vor eine entscheidende Rolle im Land. Als Damoklesschwert schwebt es über der gewählten Regierung und kann jederzeit wieder die Macht übernehmen. Nicht zuletzt entzieht der Militärapparat dem Land auch heute noch Geld und Intelligenz. Die gut ausgebildete Jugend macht nach wie vor dort Karriere und nicht in der freien Wirtschaft.

Das zweite große Problem des Landes neben dem Militär ist die Vielfalt der konkurrierenden Volksstämme. In Myanmar werden hunderte von Sprachen gesprochen, gibt es die unterschiedlichsten Clans und Religionen, auch wenn Buddhismus die Staatsreligion ist. In dieser komplexen Gemengelage muss man Aung Sung Su Ki bewundern, wie sie unter komplettem Verzicht auf eigene Komfortzonen mit viel Fingerspitzengefühl das Land steuert. Die aktuelle Verfolgung der Rohinja kann sie aus meiner Sicht nicht ohne weiteres unterbinden, ohne den gesamten politischen Fortschritt der vergangenen 10 Jahre wieder aufs Spiel zu stellen.

Wir hoffen sehr, dass sich Myanmar weiter öffnet und demokratisiert. Ein wunderbares Land mit fantastischen Sehenswürdigkeiten und auf jeden Fall mehr als nur eine einzige Reise wert.

Burmese Days – Pt. 5 Lake Inle

29.10.
Off to Lake Inle

Abfahrt um 8:00, der Flughafen lag gottseidank nur eine Viertelstunde entfernt, und um 09:35 startete unser Flug von Bagan nach Heho. Wie alle Flüge bislang auf die Minute pünktlich. Passagiere raus, Passagiere rein und ab dafür. Umdrehzeit inkl. Tanken und Boarding keine halbe Stunde.

Heho liegt auf 1.300m im Norden des malerischen Lake Inle, der eingebettet zwischen Bergen auf ca. 500m liegt. Man fährt etwa 1h Serpentinen herab bis Nyaung Shwe, dem Backpacker-Zentrum dieser Region, die u.a. für interessante Hiking-Touren durch die Berge und einsam gelegene Dörfer bekannt ist. In Nyaung Shwe haben wir den Taxifahrer gebeten, kurz anzuhalten, um bei einem der Tour-Anbieter-Outlets die Bootstour für den kommenden Tag zu buchen. Die Hotels bieten genau die gleichen Touren auch an, verdoppeln aber immer die Preise (unsere Ganztages-Tour mit eigenem Boot kostete z.B. 25.000 ky =15€, im Hotel wurde die gleiche Tour für 35$ = 30€ angeboten).

Wir hatten ein Hotel direkt am See gebucht und mussten von Nyaung Shwe aus noch etwa 1/2h ein Stück weiter in Richtung Süden das Ostufer hinunter.

Am frühen Nachmittag angekommen, war es uns deutlich zu früh, um faul am Pool zu liegen, außerdem hatten wir hier (leider) nur 2 Nächte eingeplant. Deswegen haben wir uns einen der berühmten Lake-Inle-Einbeinruderer angeheuert, uns eine Stunde über den See zu fahren. Der kam, musterte mich und fuhr erst mal wieder ab, um ein etwas größeres Kanu zu organisieren, das dann auch etwas weniger wackelig war, als die Reispapierkonstruktion, auf der er da anfangs angerudert kam.

Man sieht überall auf dem See wirklich noch Fischer mit großen Reusen und Netzen, die auf einem Bein hinten auf ihrem Kanu balancieren, beide Hände zum Fischen frei haben und die Balance mit Hilfe des zweiten Beines, das um das Ruder geklemmt ist, halten. Stand Up Paddeling ist Kinderkacke dagegen!

Man beachte das FC Bayern Trikot

Kontrapunkt zu den idyllischen Einbeinruderern sind die Motorkanus – das Äquivalent zum ÖPNV. Es gibt regelrechte Highways auf dem See, auf denen sich die Boote mit beeindruckender Gischt hinter dem Außenborder aneinanderreihen. Leider machen die auch einen Höllenlärm. Jedes einzelne Motorboot klingt in etwa wie ein 20er Jahre Bulldog und gibt oft auch ähnlich schwarze Abgaswolken ab.

Unser einbeiniger Ausflug war auf jeden Fall schon einmal eine schöne Art, am See „anzukommen“

30.10.
Wir fahren übern See, übern See

Heute stand dann unsere Bootstour auf dem Programm. Die Tour, die jeder Reisende macht, wenn er an den Inle-See fährt:

Zunächst nach In Dein. Ein verschlafenes Nest im Südsüdwesten abseits des Sees. Man verlässt den See und fährt über ein enges Fluss-System weit in Richtung Westen quer durch schwimmende Gärten, in denen Gemüse aller Art angebaut wird.

Man durchquert Dörfer, die komplett auf Stelzen gebaut sind (es mutet ein wenig venezianisch an) und wird vom Fahrer erst einmal an einer Silberschmiede abgesetzt, wo man ja theoretisch etwas kaufen könnte, und dann an einer Weberei, wo man ja theoretisch ebenfalls etwas kaufen könnte. Sollte man aber nicht, denn den gleichen Kram bekommt man später auf den Märkten etwa 20-30% günstiger angeboten.

Der Lake Inle ist ein Schmelztigel vieler verschiedener Volksgruppen und in der besuchten Weberei arbeiteten zwei Frauen, deren Hälse mit Eisenringen auf eine beeindruckende Länge gestreckt wurden, an Tüchern mit einem ganz eigenen Design. War schon sehr interessant.

Dann ging es weiter nach In Dein. Erst einmal vor lauter Touristenbooten einen Anlegeplatz zu finden, war gar nicht so trivial. Haben wir aber auch geschafft.

Wir hatten Glück, denn der 5-Day-Market, ein Markt, der rund um den See rotiert und jeden Tag etwas weiter wandert, fand an diesem Tag genau dort statt. Der Markt besteht aus zwei Teilen: Ein großer Teil mit Tüchern, Silberwaren und Schnitzereien (Hauptprodukte der Region) – im Wesentlichen für die Touristen; sowie ein kleinerer Teil mit Lebensmitteln für die Einheimischen. Die Ansprache durch die Händlerinnen im Touristenteil ist im Vergleich zu anderen Ländern noch vergleichsweise dezent.

Eigentliche Attraktion von In Dein und Grund dafür, dass dieser Ort Pflichtprogramm ist, ist eine alte Tempelanlage, die z.T. Verfallen und überwuchert, z.T. gut in Schuss ist und sich z.T. noch im Bau befindet.

Mitten im Wald eine solche Ansammlung glänzender Stupas zu finden, ist schon überraschend.

Nach einer recht idyllischen Wanderung vom hoch gelegenen Kloster den Fluss entlang zurück zum Boot und einer kurzen Mittagspause, baten wir unseren Fahrer, uns noch zu einem Ceroot-Hersteller und zu einer Lotus-Weberei zu fahren.

Ich hatte von „Ceroots“, den einzigartigen burmesischen Zigarillos, zum ersten mal in Orwells Burmese Days (Namenspatron dieses Reisetagebuchs) gelesen und dann in meinem Lonely Planet gesehen, dass diese am Lake Inle hergestellt werden. Ganz im Süden des Sees gibt es ein „Artisan Village“ mit vielen Handwerksbetrieben, u.a. auch einer Ceroot-Manufaktur.

Der Herstellungsprozess ist anders, als bei klassischen Zigarren. Die Deckblätter werden erst gerollt und dann gestopft. Der Tabak wird u.a. mit Pfefferminze oder Banane versetzt. Ich habe Banane probiert und muss sagen: Das ist gar nicht schlecht!

Die Holde las in ihrem Führer, dass am Lake Inle Garn aus Lotusstengeln hergestellt wird und wollte das gerne einmal sehen. Wir also zum nächsten Handwerksbetrieb weitergetuckert. War hochinteressant!

Für ein Tuch aus Lotusgarn benötigt man Sage und Schreibe 8.000 bis 10.000 Lotusstengel. Diese werden alle 10-15cm aufgeschnitten und auseinandergezogen, dabei ziehen sie hauchdünne Fäden, die dann sorgsam entnommen, verdreht und verwoben werden.

Das Endprodukt ist weicher als Seide, leider aber auch teuerer als diese – ca. 300$ für ein Lotustuch war uns dann leider doch zu teuer.

Nach Silberschmiede, Weberei, Ceroot-Faktur und Lotusweberei ging es noch in eine Schmiede. Auch hier – wie überall – noch absolut archaische Produktionsprozesse. Kein Dampfhammer, sondern nur Vorschlaghämmer. Man fühlte sich in jeder einzelnen Manufaktur in längst vergangene, vorindustrielle Zeiten zurückversetzt.

Weiter ging es zu einem Tempel, in dem kleine Figuren von Buddha und seinen 3 Schülern verehrt werden. Durch die zentimeterdicken Blattgoldschichten sieht man von den ursprünglichen Formen der Figuren nichts mehr. Sie sehen eher aus wie aufeinandergeschichtete Knödel oder Nanas von Nicki de Saint Phalle.

Neben dem Tempel gab es die Royal barches zu besichtigen. Große Boote, die von Langbooten gezogen werden. Einmal im Jahr gibt es eine Parade. Fragt mich nicht, warum sie sich ausgerechnet für Hühner als Galeonsfiguren entschieden haben.

Zum Schluss dann nochmal ein Kloster auf einer Insel im See. Früher haben die Mönchen den vielen Katzen, die dort (immer noch) leben beigebracht, durch einen Ring zu springen. Nachdem im Volksmund das Kloster dann bereits „jumping cat monastery“ hieß, hat man damit aber wieder aufgehört. Ist ja schließlich immer noch ein Kloster und kein Zirkus.

War ein launiger Tag auf dem See. Sehr empfehlenswert!

Burmese Days – Pt. 4 Bagan

27.10.
The Early Bird Catches The Sun

Bagan muss man sich als weite grüne Ebene mit Wiesen und Bäumen vorstellen, in die diverse Herrscher rund um die erste Jahrtausendwende hunderte Tempelanlagen aus Ziegelstein gebaut haben oder besser haben bauen lassen. In Summe ergibt das heute ein sehr malerisches Gesamtbild in dem man – vollkommen unabhängig vom Standort – in allen vier Himmelsrichtungen Pagoden sieht.

Viele dieser Gebäude haben bemerkenswerte Geschichten, die sich bestens für ein Game Of Thrones Prequel eignen würden. Da wurden Königreiche erobert, Könige eingesperrt, Väter, Mütter, Schwiegersöhne und natürlich Ehefrauen ermordet oder Sklaven die Arme abgehackt, wenn sie beim Mauern zu große Lücken zwischen den Steinen ließen (eine Maßnahme, die mir seinerzeit beim Bau unseres Hauses auch schon einmal in den Sinn kam).

Die meisten Tempel sind ähnlich aufgebaut: Viereckig, innen ein Rundgang, in der Mitte ein Quadrat in dem in jeder Himmelsrichtung ein Buddha sitzt und einen anlächelt. Außen 1-2 Terrassen, die heute im Wesentlichen zum Betrachten von Sonnenauf- und untergängen genutzt werden.

Vor den wichtigeren Tempeln reihen sich Stände von Souvenirverkäufern, die zwar noch nicht so aufdringlich sind wie z.B. in Ägypten, aber einem doch zunehmend auf die Nerven gehen. Der Ablauf ist immer: „Where do you come from?“ „Germany? Guten Tag!“ „let me show you this temple“ (daraufhin kleben sie wie Pech an deinen Hacken und du wirst sie nicht mehr los) und schließlich „now you have a look at my goods“. Wir sind dazu über gegangen, auf die Frage „where are you from?“ mit „Kamchatka“ zu antworten. Das hat sie etwas verwirrt und man wurde nicht mit deutschen Brocken beworfen („langsam langsam“, „Achtung Kopf“ …).

Unter den Husslern sind sehr viele Kinder, die einen mit traurigen Knopfaugen anschauen und Postkarten und selbst gemalte Bildchen verkaufen wollen. Man hat natürlich Mitleid, aber wenn man dann kauft, unterstützt man es quasi, dass sie statt zur Schule zu gehen einen schnellen Kyat machen wollen. Also Hände weg.

Es sind zwar buddhistische Tempel, aber mir ging doch irgendwann eine Bibelstelle durch den Kopf:

Dann ging Jesus in den Tempel, jagte alle Händler und Käufer hinaus, stieß die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenverkäufer um und rief ihnen zu: »Ihr wisst doch, was Gott in der Heiligen Schrift sagt: ›Mein Haus soll ein Ort des Gebets sein‹, ihr aber macht eine Räuberhöhle daraus! (Matthäus 21,12)

Besonders berühmt ist Bagan für seine Sonnenauf- und Untergänge, die man sich entweder aus einem Heißluftballon (45 Minuten kosten pro Person 350 USD…) oder von einer der höheren Pagoden aus ansieht. Der Wecker klingelte also um 05:15 Uhr. Die als Geheimtip gehandelte Law Ka Oushong Pagode war um 05:40 bereits überfüllt, aber wir hatten Glück und ein einheimischer Junge aus der Gilde der Bilderverkäufer (s.o.) nahm uns mit zu einem „secret place“, eine namenlose Pagode mitten im Grünen abseits der ausgetretenen Pfade. Dort saß auch nur eine Handvoll Menschen.

Der Sonnenaufgang war fantastisch. Zuerst färbt sich der gesamte Himmel lila und rosa, dann erscheint ein glutroter Ball, der alles in rötliche Farben hüllt. Zwischen den Pagoden steigt der Nebel auf. Nach einer weile sprenkeln Heißluftballons den Himmel. Absolut einmalig.

Nach einem herzhaften Frühstück sind wir dann auf unseren E-Bikes so lange von Tempel zu Tempel gehüpft, bis uns der Kopf vor lauter Buddhas und Wandmalereien schwirrte. Nachmittags ein kurzer Abstecher an den Iryawaddy auf einen Drink.

Abends noch nach Nyaung U, das aber außer vielen Straßen-Restaurants und Hostels nicht viel zu bieten hat.

 

28.10.
Another Day in Pagodise

Ausgeschlafen und erst um 08h gefrühstückt. Das ist der pure Luxus auf so ner Bildungsreise. Die Tochter ist ja aktuell 4 Monate mit dem Rucksack in Asien unterwegs und hat ihre Aufstehzeiten hier drüben von 14:00 auf 05:30 verlagert. Abends wird es dunkel und wenn man nicht in irgendeiner Party Zone unterwegs ist (Full Moon auf Koh Phangan oder so), passt man sich relativ schnell dem Rhythmus der Einheimischen an, steht ziemlich früh auf, denn da ist es a. hell, b. noch angenehm kühl und c. das Licht ist gut zum Fotografieren (letzteres ist kein primäres Argument für die Einheimischen). Der Abend ist dafür so gegen 22-23h auch gelaufen.

Wir also in Richtung Westen nach Minnanthu, da haben wir einige der insgesamt 3.000 Pagoden noch nicht inspiziert. Mein Hauptziel war ein immer noch aktives buddhistisches Kloster, das in ein Höhlensystem hineingebaut ist. In maulwurfartig gegrabene Stollen, in denen ich nicht aufrecht stehen konnte, waren Nischen gehauen, in denen Pritschen standen. Irgendwo gab es eine Art Küche – es lag ein Haufen Zwiebeln herum und daneben ein schiefer Turm aus Steinguttellern. Willkommen im frühen Mittelalter! Relativ bald mussten wir Tag 2 abbrechen, weil 50% der 2-Personen-Reisegruppe akute Verdauungsprobleme hatten. Also Loo und Pool bis Nachmittags. War aber gar nicht so schlimm, weil wir damit der Mittagshitze gut ein Schnäppchen geschlagen haben. Gegen 16:00 dann nochmal E-Scooter gemietet und zum Sonnenuntergang-Schauen auf die Bulethi Pagode.

Als Tourist darfst Du hier – anders als überall sonst in Asien – keine 125ccm Mofas leihen, sondern nur elektrisch betriebene Scooter, die so ca. 60 km/h fahren, also ausreichend schnell, und keinerlei Lärm oder Abgase von sich geben. Damit, oder mit einem Mountainbike (kann man auch leihen, ist aber um einiges teuerer, als die E-Scooter) düst Du dann von Pagode zu Pagode. Man ist viel schneller, als in Pferdekutsche, Ochsenkarren oder auch Jeep (weil man besser um die Schlaglöcher kurven kann), hat Fahrtwind und kommt überall hin. Tolle Sache!

Wir also mit den Scootern zur Pagode, ca. eine Stunde vor Sonnenuntergang da, es war aber schon mächtig was los. Eine bunte Mischung aus Japanern, Italienern, Franzosen und anderen Nationalitäten saß harmonisch dicht an dicht. Die einzigen, die Stress gemacht haben, waren natürlich Deutsche („hey, ei waz hier först“, „ju kennot ztent zer!“, „Klaus, komm her, hier ist noch Platz!“ (da war kein Platz mehr…). Naja, ihr kennt das. Um es kurz zu machen: Der Sonnenuntergang war nix. Die Sonne verschwand vollkommen unspektakulär hinter einer Wolkenbank und ward nicht wieder gesehen.

Um den Tag abzurunden sind wir noch zu einer Pagode, die wir immer nur von oben gesehen haben und die interessant und anders aussah, als alle anderen, nämlich wie eine weiße Pyramide. Maha Bodi. Es sei „indischer Stil“ sagt Lonely Planet. Hat sich auf jeden Fall noch mal gelohnt.

Wir sind abschließend wieder auf unser Barboot, die Erawati Raft, und haben da das verdiente Feierabend-Myanmar getrunken.

Burmese Days – Pt. 3 Mandalay

 

24.10.
Road To Mandalay

Wieder ein Reisetag. Wie gesagt – der Ausflug ins Paradies muss teuer mit Reisezeit erkauft werden. Das Boot wartete pünktlich um 8 Uhr am Steg des Hotels. 13:00 Ankunft in Sittwe. Auf dem Weg zum Flughafen klingelt das Handy des Fahrers. Er dreht sich um: „did you forget something on the boat? Something small, like a telefone?“ – mein GPS wurde mir dann auf dem Moped hinterhergefahren. Ehrlicher geht’s nicht.

Es gibt keinen Flug von Sittwe nach Mandalay. Also müssen wir erst wieder in den Süden nach Yangoon, um dann wieder in den Norden nach Mandalay zu fliegen. Beide Flüge mit KBZ, Gepäck durchchecken ging aber dennoch nicht, wenn ich den Menschen am Check In Schalter richtig verstanden habe. Was schwierig war, denn 1. sprach er kein Englisch und 2. hatte er den Mund gestrichen voll mit Betelnüssen.

Der Sitzabstand in der burmesischen KBZ war deutlich weiter, als in der Deutschen Lufthansa. Meine Befürchtungen, die Flüge im Lotussitz verbringen zu müssen, war unbegründet. Ebenso wie die Befürchtung, die 90 Minuten Übergangszeit könnten knapp werden. Alles klappte wie am Schnürchen.

Um 21:00 dann endlich am Hotel. Ein gesichtsloser Bunker downtown 78. Ecke 31. Der erste Eindruck von der Stadt eher bescheiden. Beton, Verkehr, Lärm. Mal sehen, wie das bei Tageslicht wird. Burmese Days – Pt. 3 Mandalay weiterlesen

Burmese Days – Pt. 2 MraukU

21.10.
Der Weg ist das Ziel

Wer Goethes Italienische Reise gelesen hat, weiß, was ich meine. Auf einer Strecke, die unsereiner mittlerweile an einem guten halben Tag zurücklegt (außerhalb der Ferienzeit; wochentags) hatte er die Zeit, einen ganzen Bestseller zu schreiben. An unserem nächsten Zielort wird schon seit längerem ein Flughafen geplant. Bis zur Realisierung desselben ist der Ort nur beschwerlich erreichbar (nein, nicht Berlin). Deswegen besuchen Mrauk U (gesprochen etwa „Miau“) auch nur etwa 5.000 Touristen im Jahr, obwohl es eigentlich eine der Hauptsehenswürdigkeiten Myanmars ist. Immerhin war Mrauk U über lange Zeit Regierungssitz und damit auch Religionssitz des Landes, doch davon später.

Üblicherweise machen alle Myanmar-Touristen in etwa die gleiche Rundreise: Yangoon – Mandalay – Bagan – Lake Inle – Yangoon. Das ist alles touristisch einigermaßen erschlossen und man kommt recht kommod von a nach b. Alles, was abseits dieser Reise im Uhrzeigersinn liegt, wird schwierig. Mrauk U zu planen war SEHR schwierig. Es gibt nur einige Hostels (zu einfach) und ein Luxushotel (zu teuer). Die Anreise geht nur über Sittwe (Inlandsflug)und dann per Boot (Fähre nur Dienstag und Donnerstag) oder im Auto (keine befestigten Straßen). Wir haben dann zähneknirschend das Mrauk U Princess Resort gebucht (teuer, aber wie sich herausstellen sollte, sehr schön). Die bieten ab Sittwe auch einen Transfer in ihrem eigenen Boot an, der aber schlicht unbezahlbar ist (dafür aber mit Champagner…).

Um es kurz zu machen: Nach einiger Recherche habe ich eine nachgerade fantastische Agentur gefunden – Onestop Myanmar sei hiermit ausdrücklich empfohlen (ebendie, die auch auf den Brand hingewiesen haben). Diese haben uns einen Bootstransfer für weniger als 50% des Hotelbootpreises inkl. Abholung am Flughafen arrangiert (dafür aber ohne Champagner…).

Unser ursprünglich gebuchter Inlandsflug wurde erst einmal storniert („due to maintenance reasons the entire fleet will not operate in October“), wir haben dann auf die etwas solidere Myanmar Air umgebucht (es gibt hier um die 8 Airlines, von denen 6 in keinerlei Hinsicht Europäischen Sicherheitsanforderungen entsprechen. Flüge werden gerne storniert, verschoben oder fliegen früher. Reconfirmen der gebuchten Flüge ist Backpackerpflicht).

Die Myanmar Air verlangt, dass man für einen Inlandsflug ganze 2 Stunden vor Abflug am Flughafen sein muss. Also wieder einmal früh aufstehen, ohne Frühstück ins Taxi, am Flughafen gefrühstückt und rechtzeitig am Gate gewesen. Dumm nur, wenn man weder die burmesische noch die burmenglische Durchsage versteht. Wir wurden dann persönlich aufgefordert einzusteigen und hatten einen eigenen Bus zum Flugzeug, in dem auch schon alle Passagiere auf uns warteten. Geduldig. Wir sind in Asien.

Bei der Einreise in die Provinz Rakhine wartete trotz Inlandsflug bereits ein Immigration Officer auf uns, der Visum und Pässe prüft. Rakhine ist recht nah an den unsicheren und Nogo-Zonen, da behält man seine Reisenden lieber im Blick. Gottseidank wusste ich hier bereits, dass man unsere Destination komplett anders ausspricht, als man sie schreibt. Englisch spricht hier so gut wie niemand.

Transfer zum Boot. Abfahrt 14:00, Strecke ca. 60km flussaufwärts. Unser Boot hatte eine beeindruckende Größe und wir hatten den Kahn komplett für uns. Bilder von Bogart und Hepburn in African Queen standen vor meinem geistigen Auge, als wir majestätisch langsam den braunen Fluss hinauf entlang Kranichen, Wasserbüffeln und Reisfeldern fuhren. Nach 2-3 Stunden wurden die Holzstühle erstaunlich unbequem. 60 km Strecke und unser Boot fuhr im Schnitt ca. 12 km/h. Einfach zu errechnen, dass die angekündigten 3,5h Fahrtzeit nicht ganz realistisch waren. Um 18:00 wurde es stockfinster. Zum im Fluss schwimmenden Treibgut (Regenzeit…) und unmarkierten Untiefen gesellten sich unbeleuchtete Fischer in Kanus. Auch unser Boot war komplett unbeleuchtet. Vor dem geistigen Auge stand jetzt eher Martin Sheen in Apocalypse Now. Passt auch von der Region besser. Der Bootsjunge kletterte mit einer Taschenlampe aufs Dach, um die 50m vor dem Bug zu beleuchten. Dann endlich um kurz vor 20h der Steg des Hotels.

Man bekommt ein gutes Gefühl für Entfernungen, wenn man wie Goethe reist. Und der Hintern tut einem weh.

 

22.10.
A rainy day in Mrauk U

Der Oktober ist ein Risikomonat für Reisen nach Myanmar. Die alte Regenzeit in ihrer Schwäche zieht sich in raue Berge zurück, aber manchmal kommt eben doch ein Zyklon aus Indien um die Ecke, so zum Beispiel am 21. Oktober 2017. Bereits in der Nacht hat es gewittert, wie man das als Europäer höchstens noch vom Berg und von hoher See kennt. Es regnete dann auch mehr oder minder den ganzen Tag. Dumm gelaufen, denn genau heute war der Tag dessentwegen wir die beschwerliche Reise in den Nordwesten antraten. Hilft ja alles nichts, dann kommt zu Rucksack und Kameratasche eben noch der Regenschirm und man wünschte sich, man wäre eine hinduistische Gottheit und hätte 2 Arme mehr.

Über atemberaubend schlechte, von der Regenzeit zerfressene Lehmwege rumpelten wir im TukTuk zur Shittaung Paya, dem zweitgrößten erhaltenen Tempel (Übersetzt „Tempel der 80.000 Bilder“, weil dort 80.000 Buddhastatuen stehen/standen) – der größte Tempel (Kothaung Paya; Tempel der 90.000 Bilder. Competition my ass!) sei aufgrund der Straßenverhältnisse nicht erreichbar, hieß es. Die Tempelanlagen erinnern mit ihren dicken Wänden und schmalen Gängen an Zitadellen und manchmal auch an Bunkeranlagen. Nur mit mehr Buddhastatuen.

Mrauk U war vom 15. bis ins 18. Jahrhundert der Königssitz und das Machtzentrum im Großraum zwischen Indien und Burma. Wie auch in Europa gab es keine wirkliche Trennung zwischen Staat und Kirche und so überboten sich die Könige und deren Nachkommen beim Bau von Pagoden, Tempeln und Buddha-Statuen. Da kommt in 300 Jahren einiges zusammen.

Hunderte von Stupas – teils aus schwarz gewordenem Sandstein, teils goldverziert, teils noch überwachsen – schmiegen sich in die grüne Landschaft und stehen stolz vergoldet, restauriert, verfallen oder noch verschüttet in den grünen Hügeln und Tälern.

Die gesamte Szenerie wird belebt von bunt gekleideten Burmesen mit dreieckigen Hüten, die zu Fuß, auf Fahrrädern oder auf Mofas ihren täglichen Verrichtungen nachgehen. Durch den Regen und die vielen Spiegelungen und Lichtreflexe bekam das Ganze einen ganz eigenen Charakter. Zudem hatten wir seit 2 Tagen kein einziges westliches Gesicht gesehen. Ich fühlte mich zurückversetzt in eine längst vergangene Zeit.

Irgendwann waren wir dann nass und hatten keine Lust, noch nässer zu werden. Also zu Fuß zurück ins Dorf, weil die Taxidichte hier deutlich geringer ist, als in Yangoon; man könnte sagen, sie tendiert gegen Null. Kulturbeflissen auf dem Heimweg noch einen Abstecher zum alten Kaiserpalast, von dem allerdings nur noch die Grundmauern stehen. Dann im Moe Cherri (eines von 2 Restaurants hier) das verdiente Feierabendbier.

 

23.10.
I live by the river

Sonne! \o/

Um 8:00 wartete bereits der Minivan vor der Tür. Heute hatten wir ausnahmsweise einmal Guide, Fahrer und Boot vorgebucht, um den westlichen Arm des Irrawaddy (der einen eigenen Namen hat, den ich leider nicht notierte) zu erobern. Etwa 2 Stunden Nördlich von Mrauk U liegen einige Dörfer des Volksstammes der Chin, die wir besuchen wollten. Myanmar ist ein Schmelztigel aus unterschiedlichsten Völkerstämmen mit über 100 unterschiedlichen Sprachen, eigenen Traditionen und Physiognomien. Noch heute werden ethnische Minderheiten unterdrückt, können keine Staatsämter bekleiden und profitieren nicht an der Ausbeutung der reichen Bodenschätze ihrer Region.

Wir befinden uns aktuell im Rakhine State, nördlich davon liegt der sehr arme, an Bangladesh grenzende Chin State. Die Grenzlinien sind jedoch künstlich und so wohnen im nördlichen Rakhine auch bereits Chin. Wären wir auf dem Fluss konsequent weiter in Richtung Norden gefahren, hätten wir erst den Chin State durchquert, um dann nach gar nicht all zu langer Zeit in Indien anzukommen.

Die Chin-Dörfer sind ein beliebtes Ausflugsziel, denn hier wurden bis in die 50er Jahre die Mädchen im Kindesalter im Gesicht mit „tribal tattoos“ tätowiert. Im gesamten Gesicht, inkl. Augenlider, was sehr schmerzhaft sein muss, weswegen die Regierung bereits 1960 diese Tradition verbot.

Die Fahrt flußauf war malerisch und ging vorbei an Hügeln, Reisfeldern und Dörfern. Immer wieder sah man Menschen beim Wäsche waschen, baden, bei der Körperpflege oder beim Wasser holen. Frauen mit einem rund geformten Silberkrug auf dem Kopf, original so, wie man das von Mowglis Freundin aus dem Dschungelbuch kennt.

Männer mit Strohhut und nacktem Oberkörper beim Ernten, entgrünen und Bündeln von Bambus, der dann als Floß flußabwärts transportiert zum Verkauf angeboten wird.

Wir besuchten zwei Dörfer. Das erste war bereits auf Besucher eingestellt. Hier lebten noch 5 tätowierte alte Frauen, sämtlich Charakterköpfe mit teils erstaunlich nordeuropäisch anmutenden Gesichtszügen. Gegen ein kleines Entgelt darf man fotografieren. Auf einem Bambustisch werden selbst gewebte Decken zum Verkauf angeboten.

Alles wirkte hier sehr sauber, aufgeräumt und harmonisch. Myanmar gehört zu den wenigen weniger entwickelten Ländern, in denen absolute Gleichberechtigung herrscht und das merkt man überall auch am Umgang miteinander. Beim Überqueren einer kleinen maroden Holzbrücke ist eine morsche Planke unter mir zerbrochen und es war ein kleines Wunder, dass ich nicht mal einen Kratzer abbekommen habe.

Unser Highlight war das zweite Dorf, etwas weiter flußaufwärts. Hier war man noch nicht auf Touristen eingestellt. Als wir ankamen, kam eine tätowierte Frau auf uns zu und lud uns ein, mit ihr eine Pomelo zu essen und etwas zu ratschen. So saßen wir dann auf Plastikstühlen da, sie schälte die Frucht und wir unterhielten uns (der Guide übersetzte). Etwas später kam noch ihre Schwester dazu. Beide hatten einen herrlichen Humor und einen ausgeprägten Mutterwitz – um ein Haar wäre ich mit der Schwester (Witwe, 72) verkuppelt worden. Mehrfach wurde betont, wie wichtig die Schule im Dorf sei. Als ich sagte, dass ich eine Kleinigkeit für die Schule spenden wolle, geriet das halbe Dorf in Bewegung. Der Dorfälteste kam mit einem Donation book und feierlich wurden Name, Nationalität und Spende eingetragen.

Man kann nur hoffen, dass sich die Zivilisation verträglich und harmonisch an diesen entlegenen Winkel der Welt pirscht.

Wohlbehalten wieder im Dorf angekommen fragt uns unser Guide doch tatsächlich, ob wir noch eben zum Kothaung Paya fahren wollen. Das ist der Tempel, zu dem uns am Vortag der Fahrer aufgrund schlechter Straßenverhältnisse nicht bringen konnte. Nach der Fahrt dorthin hatten wir Verständnis, es lohnt sich aber auf jeden Fall, etwas durchgeschüttelt zu werden. Der größte Tempel der Region steht etwas abseits und wurde aufgrund der Weissagung eines Astrologen in nur 6 Monaten erbaut. Aus Mangel an Sandstein aus Ziegeln, weswegen er nun schneller zerfällt und bereits zu guten Teilen von der Natur zurückerobert wurde. Renovierungsarbeiten sind geplant und einerseits notwendig, andererseits werden sie leider auch etwas von der eigenen Magie dieses Ortes entfernen.

Fazit zu Mrauk U: Die Anreise ist eine beschwerliche und umständliche Tagesreise, aber gottseidank ist das so. Ganze 5.000 Touristen im Jahr, kaum einer davon im Oktober, weil es da noch regnen kann, und voraussichtlich aufgrund der Medienberichte über „Unruhen im Norden“ erst einmal noch weniger, auch wenn dieser Norden noch sehr weit entfernt von Mrauk U ist. Auch wir hatten ja kurzzeitig leichte Bedenken, die im Nachhinein vollkommen grundlos waren.

Bis auf zwei kurze Ausnahmen haben wir keine anderen Touristen gesehen. Entsprechend ursprünglich ist rund um Mrauk U alles noch und ich bin jetzt gespannt auf Bagan und Lake Inle, erwarte dort jedoch deutlich mehr touristische Infrastruktur, Taxis, laminierte Speisekarten und weniger „ursprüngliches Asien“, als hier im Norden.

Burmese Days – Pt. 1 Yangoon

18.-19.10.2017
München – Frankfurt – Bangkok – Yangon

Eine Anreise mit zwei Zwischenstops ist nur etwas für sehr sehr zähe und geduldige Menschen. Ich bin weder zäh noch geduldig, aber ich wollte nach Myanmar und da hat der Wille die Mimose überstimmt. Deswegen erspare ich euch auch das Gejammere über die Anreise mit 1h Flug, 2,5h Zwischenstop, 11h Flug, weiteren 2,5h Stopover und noch einer Stunde Flug.

Der letzte Zwischenstop in Bangkok erwies sich übrigens als wertvoll, denn beim Checken der Mails während der Wartezeit erhielt ich folgende Nachricht von einem Tour-Operator, mit dem ich mich zwecks Zahlung einiger Transfers am Abend in unserem Hotel, dem Kandawgyi Palace, treffen wollte:

Hi Craggan,
Kandawgyi Palace hotel was burnt down yesterday night and 70% were destroyed.
Hope you are safe.
Please advise how do we meet each other.
Regards,
Kyaw

Kurze Schockstarre, google, twitter und – ja, stimmt wohl. Auf youtube gibt’s Videos vom Löscheinsatz. Das Hotel, in dem wir einige Stunden später unsere geräderten Knochen zur Ruhe legen wollten, glimmte gerade vor sich hin.

Kurzerhand mit Booking.com telefoniert und eine Alternative gebucht (in der ich soeben sitze und diese Zeilen schreibe). Schöne neue Internet-Reisewelt. Noch vor nicht all zu langer Zeit hätte der Taxifahrer einen mit Gepäck sardonisch grinsend vor einem Häufchen Asche abgesetzt, weil man ihm natürlich partout nicht glauben wollte, dass das Hotel abgebrannt sei („jaja…“) und er aber eine gute Alternative wüsste („sicherlich!…).

Zum Runterkommen machten wir noch einen kurzen Spaziergang zur nahe gelegenen Rooftop-Bar des Sakura Tower auf einen Absacker. Die fantastische Sicht auf die Stadt und die beleuchtete Shwedagon Pagode machten die zu hohen Preise und die untalentierten asiatischen Karaoke-Sirenen mehr als wett. Im Vergleich zum nächtlichen Bangkok herrschte von oben betrachtet auf den Straßen Yangons ein geradezu dörflicher Verkehr. Wir waren gespannt, ob sich dieser erste Eindruck am nächsten Tag bestätigen würde.

Sofortiges Schlafkoma

20.10.
Yangon

Den 4,5 Stunden Zeitunterschied zum Trotz (wie kommt man bitte auf viereinhalb Stunden?) um 08:30 aus dem Bett gekugelt (also 4 Uhr nachts nach deutscher Zeit), raus aus dem Hotel und erst einmal gefrühstückt. Stilecht mit Fried Rice und mit Curry gefüllten Teigtaschen.

Auf direktem Weg sodann unverzüglich zur wichtigsten Sehenswürdigkeit Myanmars, der Shwedagon Pagode. Ich verzichte darauf, an dieser Stelle kulturhistorische Abhandlungen aus den diversen Reisführern zu kopieren, deswegen nur so viel: Das Ding ist ECHT beeindruckend! Eine ganze Tempellandschaft rund um eine sehr große und hohe vergoldete Stupa. Die erste Stupa übrigens, die von außen mit Blattgold verziert wurde. Was heutzutage fast schon die Regel ist, war damals absolut Neu. Eine Trendsetterin sozusagen. Die Landeshauptstadt München hat übrigens in Sachen Bauordnung auch von der Vergoldeten abgekupfert (pun intended): Kein Gebäude in Yangon darf die Shwedagon Pagode überragen.

Wir verbrachten viel Zeit mit und in dieser Ikone des Buddhismus. Teils aufgrund der vielen Sehenswürdigkeiten (ein kleiner Schrein für jeden Wochentag, eine tonnenschwere Glocke, die gewichtsbedingt im Zuge eines Diebstahlversuchs ein Schiff der Britischen Navy versenkt hat, dutzende Buddhas und kleinere Stupas), teils aufgrund der eigenen, schönen Stimmung auf dem Gelände mit vielen Einheimischen und Mönchen, teils aufgrund der immer wieder einsetzenden kurzen Regenschauer.

Die Pagode liegt recht nahe zum Lake Kandawgyi, an dem wir eigentlich hätten übernachten sollen. Deswegen haben wir noch den kurzen Abstecher gemacht, um uns wenigstens den See und die verkohlten Überreste unseres komplett aus Teakholz erbauten Hotels einmal anzusehen. Wirklich sehr sehr schade, das muss nett gewesen sein. Als wir dort waren, berichtete das örtliche Fernsehen gerade über den Vorfall.

An der Straße ein Taxi geschnappt, und ab nach Downtown. Taxen gibt es wie Sand am Meer. 4 von 5 Autos, die an einem vorbeifahren sind (gefühlt) Taxen. Die dreiviertelstündige Fahrt vom Flughafen in die Stadt kostet 10.000 Kyat – 1.000 Kyat sind ca. 60ct. Fahrten innerhalb Yangons kosten zwischen 2.000 und 3.000 KYT. Man kommt also für 1-2€ überall hin, was sehr angenehm ist. Und wenn wir schon bei der automobilen Fortbewegung sind: Autos mit Lenkrad rechts im Rechtsverkehr. Noch nie gesehen. Was soll das? Will man damit die ehemaligen britischen Besatzer ärgern?

Ein bisschen durch die von den Briten rechteckig angelegte Altstadt gewandert. Viele Märkte, die so sind, wie man sich Märkte in Asien vorstellt. Wie sie in Bangkok früher mal waren.  Keine Billigklamotten und Firlefanz, sondern Lebensmittel, Street Food (da wird bis hin zum Pansen alles verwertet) und praktische Haushaltsgegenstände.

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Kaiserschmarrn

Für den Herrn Vogel, der eben auf Twitter fragte, hier kurz der Signature-Kaiserschmarrn a la Priener Hütte. Ich habe die Mengenangaben (30 Eier, …) mal runtergerechnet auf 4 Personen

Muss:
120g Mehl
60g Zucker
4 Eier
viel (?) Butter
1 Vanilleschote

Kann:
Rosinen
Mandelblättchen oder -stifte

Die Eier Trennen. Alles mit Ausnahme des Eiweiß gut verrühren. Das Eiweiß separat sehr sehr steif schlagen und in diese Masse vorsichtig unterrühren, damit der Schmarrn fluffig wird. Dann sehr viel Butter in die Pfanne (keinesfalls sparen. Es gibt sogar Köche, die zerlassen Butter und packen die mit in den Teig). Dann den Teig hinein. Oben mit Zucker bestreuen (an dieser Stelle auch mit Rosinen, falls gewünscht. Sind nicht jedermanns/frau Sache). Keine Temperaturschlachten, sondern bei kleiner bis mittlerer Flamme goldbraun anbraten und dann wie ein Omelette wenden.

Jetzt den Schmarrn mit 2 Gabeln oder Holzschiebern zerfetzen und nochmals etwas Zucker mit einrühren und karamellisieren lassen.

Einfach, oder?

Dazu gibt es alternativlos nur und ausschließlich Zwetschgenröster.

Beliebteste Fehler:

  1. Teflonpfanne
  2. Eiweiß nicht separat sehr (!) steif geschlagen
  3. Zu hohe Temperatur (innen pampig, außen schwarz)

Enjoy, Bird!

London, my Love

Beitrag Ergänzt 02/2017

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Es gibt Städte, die vermeidet man, wenn es geht (in dieser Klammer stand ein mit „H“ beginnendes Beispiel, das ich wieder gestrichen habe. Es war nicht Hamburg). Und es gibt Städte, bei denen man immer den Eindruck hat, man käme nach Hause. London! Seit etwas über einem Jahr darf ich diese wunderbare Stadt regelmäßig besuchen, um dort zu arbeiten. Das ist das Beste, was dir passieren kann, wenn du eine Stadt etwas näher kennen lernen möchtest. Es nimmt den Druck von der Leitung. Man muss nicht 5 Museen und 3 Märkte an einem Tag einplanen und kann sich nach dem Rhythmus der Stadt richten, einfach mitschwingen, statt die Metropole in deinen Stundenplan zu zwängen. Morgens in der überfüllten City Line (bzw. „Sauna Line“) in die Arbeit pendeln und abends ins Konzert, oder ins Theater, oder in den Pub.

Was macht dieses London aus? Der Nebel?  Die Gründerzeit-Architektur, die sich so beiläufig ins Stadtbild integriert, wie in Rom die antiken Ruinen? Die endemischen Telefonzellen, Taxis und Busse? Die Musik-, Musical- und Theaterszene? Sicher – auch das. Aber an erster Stelle kommt der Londoner. Einerseits – wie alle Hauptstädter – im gesamten Land als total durchgeknallt verschrien, andererseits weltoffen (mit einem muslimischen Bürgermeister und gegen den Brexit). In jedem Fall aber british as can be. Höflich und diszipliniert (du musst nur in die Nähe eines Zebrastreifens kommen und jeder Autofahrer bremst sofort) und gleichzeitig herrlich insubordinativ (auch in Nähe eines Polizisten käme niemand auf die Idee, an einer roten Fußgängerampel stehen zu bleiben, wenn kein Auto kommt). In London einen gebürtigen Londoner zu finden ist übrigens ähnlich schwer, wie in München einen gebürtigen Münchner. „Der Londoner“ – das ist eine bunte und gut funktionierende Mischung sämtlicher Hautfarben (mind? The Empire!).

Der Londoner ist belesen. Beim Eingang zur Underground schnappt er sich beiläufig die kostenlose Zeitschrift oder Zeitung, die ihm der Paper Boy reicht, und egal, wie voll der Zug ist, wird die dann während der Fahrt konsumiert.

Der Londoner hat Kondition, weil er zur Fortbewegung die Tube benutzt und sich deswegen den Stepper im Fitnesscenter sparen kann. Rolltreppen gibt es zwar, aber jeder Bahnsteig ist nur über 20-30 Treppenstufen zu erreichen (ein Horror für Rollstuhlfahrer). Bei der Nutzung aufwärts führender Rolltreppen ist übrigens streng darauf zu achten, dass man nur rechts steht. Links ziehen die durchtrainierteren ÖPNV-Nutzer an dir vorbei. Es gab letztens einen Aufschrei der Empörung, als Transport for London testweise an einigen Rolltreppen das beidseitige Stehen einführen wollte.

Der Londoner hat auch dann Kondition, wenn er die U-Bahn aufgrund der dort herrschenden tropischen Temperaturen und der zu Stoßzeiten gerne einmal überfüllten Züge vermeidet. Von den vorherrschenden Tiefdruckgebieten vollkommen unbeeindruckt sind im Berufsverkehr große Pulks spärlich bekleideter Radfahrer unterwegs. Die Stadt hat reagiert und einige Hauptverkehrsstraßen zu Bicycle-Highways umgebaut. London ist in den vergangenen Jahren zur Fahrrad-Stadt geworden (und auch für jeden Touristen bestens mit dem Bike erschließbar).

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Überhaupt: Dem ÖPNV-Betreiber ‚Transport for London‘ würde ich gerne den Passagierfreundlichkeitsorden am Band verleihen. Man muss nicht stundenlang verwirrt auf Landkarten mit Tarifgebieten starren und sich mit kryptisch programmierten Ticket-Automaten herumschlagen, sondern hält seine contactless-Kreditkarte an das Drehkreuz und der günstigste Tarif wird abgebucht. Züge fahren im 2-3 Minuten-Takt. Bei dem Gedanken, 20 Minuten auf eine S-Bahn warten zu müssen, entgleisen dem Londoner die Gesichtszüge. Ausgeschildert sind Himmelsrichtungen – du fährst Northbound nach Norden und Southbound nach Süden und musst nicht auf dem Netzplan die Endhaltestellen suchen. Auf den wichtigsten Strecken gibt es am Wochenende einen 24h-Service.

Teil des ÖPNV ist ein dichtes Netz an Santander-Bike-Stations. Für 2£/Tag kannst du dir mit deiner Kreditkarte an jeder beliebigen Station ein Fahrrad mieten, 30 Minuten fahren, und es dann an einer anderen Station wieder abstellen. Wenn du das Rad länger als 30 Minuten nutzt, wird eine zusätzliche Gebühr fällig, üblicherweise reicht der Halbstunden-Slot jedoch wunderbar, um vom Museum zum Pub oder vom Theater zum Hotel zu kommen. Stationen gibt es wirklich überall westlich von Greenwich und östlich von Hammersmith. Das Rad ist auch für jeden Touristen wirklich ein tolles Fortbewegungsmittel, um sich die Stadt zu erschließen. Man sollte allerdings besser die Sache mit dem Linksverkehr verinnerlicht haben.

Panorama

Bei meinen Aufenthalten habe ich ganz bewusst immer wieder einmal Unterkünfte in ganz unterschiedlichen Bezirken gebucht, um die unterschiedlichen Ecken der Stadt besser kennen zu lernen. Hängen geblieben bin ich südlich der Themse. Heute buche ich ganz gezielt in Southwark und Lambeth (mein Stamm-B&B liegt direkt neben der Kennington Station). Historisch lag der eigentliche Stadtkern nördlich der Themse zwischen Parliament und Tower, südlich des Flusses lag eine mehr oder minder rechtsfreie Zone. Hier wohnten Huren, Henker und sonstige subversive Elemente, die der brave Bürger nicht in seiner Nähe haben wollte. Auch wenn diese südlichen Boroughs mit der Olympiade, London Wheel, Shard und Jubilee Line einen ziemlichen Gentrifizierungs-Schub bekommen haben, sind sie mit ihren vollkommen untouristischen Ecken, Spätis und netten Pubs immer noch etwas archaischer, bunter und alternativer, als Soho, Westend & Co.

Links, punkig und hip war vor 10-20 Jahren auch noch das im Norden gelegene Camden, quasi das Londoner Kreuzberg. Die ehemalige Geburtsstätte des Punk ist immer noch Anziehungspunkt für Backpacker, die auf der Suche nach dem London der 80er Jahre sind, sich heute aber im Wesentlichen selber feiern. Mittlerweile findet man in Camden nur noch den ramschigen Camden Market und diverse Läden, die billige Lederimitate, Touristennepp und Junkfood verkaufen. Auf der Straße „schenken“ dir abgebrannte Musiker CDs mit selbst aufgenommener Musik, um dann nachdrücklich um eine kleine oder große Spende zu bitten. Camden könnt ihr beruhigt links liegen lassen – außer, es spielt abends eine interessante Band im Roundhouse. Tolle Location! Ein altes Bahngebäude aus dem 19. Jahrhundert, in dem Züge umgedreht wurden) , in der Underworld oder einer der anderen unzähligen immer noch guten Venues. Nur 5 Minuten entfernt von der Camden Town Tube Station liegt der Regent Park, eine wunderschöne Grünanlage und eine der teuersten Ecken Londons. Der Übergang from rag to riches ist – wie an vielen anderen Stellen der Stadt – fließend.

Momentan verlagert sich die Szene wohl nach Clapham, das liegt noch unterhalb von Southwark und Kennington und ist für die meisten Londoner quasi schon wilder Süden. Ich war leider noch nicht da (obwohl das von meiner Homebase Kennington aus nur 2 Tube-Stationen sind), aber es steht ganz oben auf meiner Liste. Allem voran Frank’s Café, eine Rooftop-Bar auf dem Dach eines alten Parkhauses. Aber auch die Clapham Craft Brewery oder das No32 The Old Town sehen sehr interessant aus. Ist ja schön, wenn man noch was auf der Liste hat.

The Pubs

The Dog House
Meine zweite Heimat. Hier werde ich mit Namen begrüßt, wenn ich reinkomme und mein London Stout steht auf dem Tresen, bevor ich sitze. Ein toller etwas alternativ angehauchter Pub mit toller Bierauswahl, netten Leuten und vor allem wahnsinnig gutem Essen. Im Dog House bekommst Du perfekt angerichtete dry aged Steaks vom Bio-Metzger, Pulled Pork, hausgemachte Pommes mit Rosmarinsalz, Lammrücken etc. etc. – und das alles zu (für Londoner Verhältnisse) sehr bezahlbaren Preisen. Nach mehreren Besuchen habe ich mal den Chef(koch) Andy angesprochen, der die Küche vor etwa einem Jahr übernommen hat. Er baut im Keller sein eigenes organisches Gemüse an, kauft nur bei lokalen Händlern und legt höchsten Wert auf Qualität. Und er kocht mit wahnsinnig viel Liebe. Hingehen!

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Nachtrag (11/16): Andy hat seinen Traum verwirklicht und ein Steakhaus (in Clapham) aufgemacht, sein Souschef hat übernommen, der hält aber die Qualität. Aktuell haben sie auch profanes Guinness, an Stelle von London Stout. Der Pub ist trotzdem toll.

Nachtrag2 (02/17): Die Karte ist jetzt eher eine Burger Karte. Essen ist immer noch gut, aber eher Pub Food. Schade!

The Black Dog
Ein netter kleiner Pub, ebenfalls mit recht guter Küche und einem kleinen Biergarten, direkt um die Ecke vom Vauxhall Pleasure Garden

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The Blackfriar
Benannt nach einem Dominikanischen Orden, der dort im 13. Jahrhundert angesiedelt war, gebaut ca. 1875 und in einem skurrilen Eck-Gebäude untergebracht, dessen Abriss vom Dichter Sir John Betjeman verhindert wurde. Wenn der Blackfriar kein Pub wäre, wäre er ein Museum. Der ideale Ort, um mit einem Pint in der Hand die Lord Mayor Parade zu verfolgen.

The Punch Tavern
An der einstigen Verlags-Hochburg, der Fleet
Street gelegen, hat sich dieser Pub auf Gin spezialisiert. Es gibt im Winter Gin-Punch (nomen est omen), und ganzjährig eine gigantische Auswahl der exotischsten Sorten. Der Barkeeper berät gerne fachkundig und als Filler verwendet man natürlich Fever Tree. Wer traditionelle englische Pies mag: Die sind hier ganz hervorragend. Allerdings weiß man nie wirklich, wann dieser Pub schließt. Uns haben sie schon mal um 22 Uhr rausgeworfen, weil nichts mehr los war.

The Ye Old Mitre
Liegt am Rande des heutigen (wenig spannenden) Finanzbezirks, ist wohl das älteste Pub Londons und du findest es nur, wenn du es aktiv suchst. Versteckt zwischen zwei modernen Hochhäusern, erreichbar nur über einen tunnelartigen Durchgang, steht in einer Art Innenhof ein altes Fachwerkhaus, in dem die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Alte Männer lesen bei einem Pint im Tweedanzug ihre Zeitung. Der Craftbier-Wahnsinn ist am Ye Old Mitre vorbeigegangen. Hier trinkt man seit über einem halben Jahrtausend (!) sein traditionell warmes und schaumloses Ale: “Built in 1546 for the servants of the Bishops of Ely, The Ye Olde Mitre is famous for having a cherry tree, (now supporting the front) that Queen Elizabeth once danced around with Sir Christopher Hatton. The pub was actually a part of Cambridge (Ely being in Cambridge) and the licencees used to have to go there for their licence. Set in a part of London steeped in history, it’s near where William Wallace was hung, drawn and quartered at Smithfield, along with martyers and traitors who were also killed nearby.”

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Brew Dog
Genau das Gegenteil vom Ye Old Mitre. Ein crowdfunding Brauerei-Startup, das sich prächtig entwickelt hat, eine junge Hipster Crowd bedient und mittlerweile mehrere Pubs in London sein eigen nennt. Ich war in den BrewDogs in Soho und in Shepherd’s Bush. Besser gefallen hat mir das letztere, das liegt sicherlich am etwas hipperen Bezirk und der entsprechend hipperen Crowd dort. Das Bier ist teuer, aber gut.

The Brown Derby
Das Interieur erinnert ein wenig an die 20er Jahre, es gibt eine D-Jane, die Dub-Sachen spielt, es gibt Meantime vom Fass und es ist sehr bezahlbar. Direkt an der Station Oval. Funfact: Es gibt kein Beefeater, sondern Hendricks und so. Auf meine Frage, warum das denn so sei, wo doch die Beefeater Destille direkt nebenan sei, lautete die Antwort: „deswegen“.

The Green Note
Da war ich selbst noch nicht, aber es ist eine Empfehlung einer guten Freundin, die folgendes dazu schrieb: „Wäre das Haus von Weasleys ein Pub, dann dieser, alles ist ein bißchen windschief, ein bißchen abgewetzt, ein bißchen zu klein, aber sehr gemütlich. Von Time Out zum Live Music Venue 2015 gewählt worden, also nicht mehr ganz so ein Geheimtipp, aber kein Hipstertreff. Londons Musiker haben das Ding wohl mehr oder minder besetzt, da passen keine Hipster mehr rein. Als ich da war habe ich gelernt, wie sich ein Cowboy in einer fremden Stadt beim Betreten eines Saloons gefühlt haben muss, ich habe die klirrenden Sporen an meinen Füßen vermißt, aber sonst… In dem Ding kannte an dem Abend offenbar jeder jeden, aber man kommt über den einen oder anderen Drink ja schnell ins Gespräch. Musiktechnisch gibt es Folk, Country, Blues, Jazz oder was Singer/Songwritern gerade so einfällt. Neben mir an der Bar standen unter anderem eine Backgroundsängerin von Tina Turner, der Keyboarder und Musical Director von Paul McCartney und der Sohn von Sean Connery. Sollte also jemand in Londons Künstlerszene netzwerken oder sich beim Jammen mal so richtig scheiße fühlen wollen: Hier“

Off the beaten tracks

Crossbones Garden
Ein versteckter Friedhof aus dem späten Mittelalter. Südlich der Themse, in Southwark gelegen, wurden hier all diejenigen begraben, die ein nicht so bürgerliches Leben führten, darunter viele Prostituierte. Der Friedhof wurde Mitte des 19. Jahrhunderts wegen Überfüllung geschlossen und geriet dann in Vergessenheit. Ein Lost Place, der erst vor einigen Jahren wiederentdeckt wurde, als sich Widerstand gegen Bebauungspläne bildete. Heute auch eine Gedenkstätte für ermordete Prostituierte, für die viele Kerzen aufgestellt und kleine Gedenkbilder an den Toren angebracht wurden. Auf jeden Fall einen Besuch wert.

Borough Market
Ein absolutes “Must see” oder besser “Must Eat“ in London ist der Borough Market. Hier tobt das Leben, gemeinsam mit der Markthalle in Barcelona einer der schönsten Märkte, die ich kenne. Vom hausgemachten Jamaican Jerk Spice, das die dicke Kreolenmama dich am Stand kosten lässt, über deutsches Schwarzbrot bis zum Stand mit Fasanen, Hasen und Wildschweinen bekommt man hier alles, was das Herz begehrt. Mein Lieblingsstand ist der vom Käseladen Kappacasein, an dem es die göttlichsten Grilled Cheese Sandwiches gibt, die ich je in meinem Leben aß. Wenn man aus der London Bridge-Station kommt, gleich links in der Wand. Die Käserei von Kappacasein ist übrigens nicht weit entfernt und kann Samstag Vormittag besucht werden.

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Smithfield Market
Smithfield ist kein Markt zum Bummeln, sondern der alte Fleisch-Großmarkt von London und das historische Zentrum des Fleischhandels für das gesamte United Kingdom. Sehenswert weniger als Markt, sondern in erster Linie aufgrund seiner wunderbaren victorianischen Architektur.  Wenn man alle Fotos vom Markt und den roten Telefonzellen, die es dort noch im Überfluss gibt, im Kasten hat, kann man im benachbarten Fox&Anchor noch einen Pint trinken.

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Law Court
Erinnert ihr euch noch an John Cleese in Ein Fisch namens Wanda? Vergleichbaren Damen und (überwiegend) Herren in langen schwarzen Roben und weißen Perücken begegnet ihr im Überfluss, wenn ihr einfach mal über den Law Court schlendert. Es gibt keine Möglichkeit, die Gebäude zu besichtigen (außer ihr habt vorher versucht, in den Tower einzubrechen), aber die Stimmung ist interessant und die Architektur ist beeindruckend. Danach könnt ihr auf einen Pint Ins Ye Olde Mitre, das liegt nicht weit entfernt.

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Vauxhall Green
Nicht so beeindruckend, wie der Hyde Park. Nicht so berühmte Anwohner, wie Green Park und St. Jamses Park. Einfach nur ein netter kleiner Park mit einem sehr schönen Tea House, in dem es organische Tees und selbstgemachte Kuchen gibt. Direkt an einer Santander Bike Station, also ein schöner Stopp für eine Radtour durch London. Nebenan liegt der Black Dog Pub, falls der Sinn eher nach Burger&Beer als nach Tea&Cake steht. Ich bin übrigens im Vauxhall Green durch Zufall gelandet, weil hier im Park im Herbst Theateraufführungen stattfinden. Die Stimmung war klasse und das Feuerwerk war umwerfend.

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Templar Church
Hier bin ich auch zufällig gelandet. An einem ungemütlichen Dezemberabend gab es den winzig kleinen Hinweis im Timeout, dass in der Templar Church ein Adventskonzert des London Community Gospel Choire stattfindet. Das Konzert war sehr schön, was mich aber wirklich überrascht hat, war die Kirche. Sämtliche Insignien der Templer, die man als alter Assassins Creed Gamer so kennt, sind im Überfluss vorhanden, die Kanzel steht in der Mitte des Kirchenschiffs und die Bänke auf beiden Seiten des Schiffs stehen einander gegenüber. Ich würde einen Besuch empfehlen

Beefeater Distillery
London ist die Welthauptstadt des Gin. Hier wurde das Zeug erfunden, gebrannt, ausgeschenkt und konsumiert. Die Geschichte des Gin ist untrennbar mit der Geschichte Londons verbunden – bis hin zu Gin-Gesetzen und Gin-Steuern, die zu Volksaufständen geführt haben. Heute werden die teuersten Gins im Schwarzwald oder in Asien produziert. In London selbst gibt es nur noch zwei wirkliche Traditions-Destillerien: Gordons in Clerkenwell und Beefeater in Kennington. Durch die Beefeater Destillery gibt es Führungen. Sehr interessant ist das kleine Gin-Museum, das die Gin-Geschichte Londons erzählt. Online buchen und hingehen!

The Distillery
Gerade erst im Dezember 2016 eröffnete dieses Hotel mit angeschlossener Distillerie. Also diese Distille mit Übernachtungsmöglichkeit. Bzw. dieses Restaurant mit Gin-Bar und Zimmern und einer Distillierie. Also The Distillery. Home of the nice Portobello Road Gin (gegenüber vom Joe Strummer Mural). Wir haben hier die Gin Experience mitgemacht. Nach einem Geschichtskurs in Sachen Gin lernt man die Botanicals näher kennen und stellt dann seinen eigenen Gin her (for the records: Mein ‚Gin The Mood‘ enthält neben der Standardbasis – 40% Juniper, 10% Coriander, 3% Orris, 3% Angelica – Cardamom, Pink Pepper, Cubeb, Bitter Orange, Pink Grapefruit und Lemon). Man kommt hier auf keinen Fall nüchtern raus, denn neben 3 Gin Tonic, einem Tom Collins und einem Martini verkostet man noch diverse Destillate sowie alle von ellen im Kurs hergestellten Gins. Cheers!

Meantime Brewery
Im aktuell herrschenden Craftbeer-Wahnsinn haben sich in London zwei Marken besonders gut etabliert: BrewDog (eine schottische Brauerei) und Meantime, mit Sitz auf dem Null-Meridian in Greenwich (daher auch der Name). Meantime wurde von einem in Weihenstefan ausgebildeten Braumeister gegründet und produziert sein Bier auf soliden deutschen Caspary-Anlagen. Ziemlich gutes Bier übrigens. Die eigentliche Sehenswürdigkeit der Brauereibesichtigung ist der (auch in allen Werbevideos auftauchende) dicke Tour-Guide, dessen breites Cockney selbst die teilnehmenden Engländer kaum verstanden haben und auf dessen Zwirbelbart jeder eingefleischte Wähler der Bayernpartei neidisch wäre. Online buchen und hingehen!

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Die Denmark Street
Alle rennen auf die Abbey Road, um ein Zebrastreifen-Selfie zu machen, aber kaum einer hat die Denmark Street im Blick. Hatte ich, um ehrlich zu sein, auch nicht. Aber sie lag auf meinem täglichen Arbeitsweg und so bin ich eher zufällig auf dieses mitten im Westend gelegene kleine Juwel der Musikgeschichte gestoßen. Es gibt entlang dieser nur etwa 200-300 Meter langen Straße ausschließlich Musik-Geschäfte (darunter sehr viele Gitarren, Musiknoten, Zubehör, Verstärker etc.) und in den Kellern Studios und Live-Musik Clubs. Hier saßen und sitzen auch einige der bedeutendsten Produzenten Englands.

Platform 9 ¾
Eines Morgens am Bahnhof stand ich auf dem Weg zu meinem Gleis 10 plötzlich erstaunt vor dem Gleis 9 ¾ – mir war gar nicht klar, dass der Zug nach Hogwarts hier in Kings Cross abfuhr. Es gibt dort eine Ecke (allerdings nicht zwischen Gleisen 9 und 10), an der man mit einem Gepäckwagen, der halb in der Wand verschwindet, Fotos machen kann.

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Andy & Tuly ltd, 74 Charing Cross Road
Ich habe noch nie so viele Manschettenknöpfe auf einem Haufen gesehen. In dem Laden gibt es jedes erdenkliche Objekt – vom Fußballvereinslogo über Batman bis zum Nasenbären – als Manschettenknopf. Alles so um die £30-40. Selbst wenn man keine Manschettenknöpfe trägt, definitiv einen Besuch wert.

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Walking Tours

Wenn man London besser kennen lernen will, macht man am Besten eine der vielen angebotenen Walking Tours. Wir haben bislang zwei davon gemacht und beide waren mordsmäßig gut!

Die Soho Punk Tour mit Aiden McMillan startet Tottenham Court Road und führt quer durch Soho und Westend. Aidan weiß alles, kennt jeden und Höhepunkt unserer Tour war eindeutig, dass wir mal eben in Glen Matlock – Gründungsmitglied der Sex Pistols – gerannt sind und so ein „Meet and Greet“ vor einem der alten Punkclubs hatten.

Die Streetart London Tour mit Maria Domenica war auch toll. Maria hat einen PHD in Street Art, hat für Mobstr Ausstellungen organisiert und wusste zu jedem Mural etwas zu erzählen. Die Tour startet an der Old Street Station und führt quer durch Shoredtich. Auch ganz unbedingt empfehlenswert, man sieht das Viertel danach mit komplett anderen Augen.

Shaken, not stirred

Wem der Sinn nach einem gut gemixten Cocktail steht, der ist in London allerbestens aufgehoben. Gemeinsam mit New York streitet sich London jährlich um die beste Cocktailbar der Welt. Mein Tipp hier wäre das Nightjar  (5 Minuten von Old Street Station). Eine Zeitreise in die Speakeasies der 20er Jahre – vom Mobiliar bis hin zur Jazzband ein Erlebnis. Jeden Abend gibt es auf einer kleinen Bühne Live-Musik, die zum Ambiente passt. Besser vorher reservieren, ist recht gefragt.

Nightjar

Wer sich die £20 für’s London Eye sparen will, dem sei das  Vertigo42 empfohlen. Das liegt im obersten Stockewrk des Tower 42 – eines der höchsten Hochhäuser Londons – und fast auf der gleichen Höhe, wie das London Eye. Die Bar bietet einen spektakulären Blick über die Stadt und man kann das gesparte Geld (kein Eintritt!) in ein Gläschen Schampus investieren. Geht nur mit Reservierung (wegen der Sicherheitsschleusen des Büroturms).

The world’s a stage

Damit nicht der Eindruck entsteht, die einzige Kultur, für die ich mich interessiere, sei die Hefekultur, hier noch einige Tips, die in jedem Touristenführer stehen. Ich nehme die nachfolgenden Bühnen und Museen hier auf, weil sie mir besonders gut gefallen haben.

Das Hammersmith
Früher das Hammersmith Apollo, dann Hammersmith Odeon und O2 Hammersmith, jetzt heißt es Eventim Apollo. Die europäische Konzerthalle schlechthin. The Clash mit ‚White Man in Hammersmith Palais‘, Motörhead mit ihrem Live Album ‚No sleep til Hammersmith‘, David Bowies letzter Auftritt als Ziggy Stardust, oder Neil Young, der während des Konzerts Teile der Bühne in Brand setzte. Die Zahl der Legenden, die hier aufgetreten sind, ist unendlich. Neben Wimbledon und Wembley die dritte große Kathedrale Londons und auf jeden Fall einen Besuch wert.

Club 100
Der älteste Musikclub Londons. 1946 gegründet. Hier haben von Glen Miller über die Stones bis hin zu den Pistols ALLE gespielt. Winziger Laden, kleiner als das SO36, aber alleine schon wegen der Athmo den Besuch wert. Ich habe hier die Sharks-Reunion gesehen und die waren auch sichtlich beeindruckt von dem Laden.

Donmar Warehouse
Ein sehr kleines und immer sehr ausverkauftes Theater, das große Schauspieler in Serienproduktion hervorbringt. Die kommen dann, wenn sie einmal berühmt sind, gerne mal wieder zurück und treten im Donmar auf. Auch wenn es online ausverkauft ist – einfach mal hingehen. Es gibt Stehplatzkarten für lächerliche £5 und die Inszenierungen sind meistens ganz hervorragend.

Shakespeare Globe
Wer einmal Theater erleben will, wie zu Shakespeares Zeiten, oder wie Arya Starck, der kaufe sich eine Stehplatzkarte (auch hier £5) und hoffe darauf, dass es nicht regnet.

Tate Modern
Über die tate muss ich nicht viel schreiben, das steht alles in den Guides. Nur so viel: Die Architektur (altes Heizkraftwerk) ist super beeindruckend. Die kostenlos zugängliche Dauer-Ausstellung ist toll. Die Gast-Ausstellungen sind regelmäßig der absolute Hammer. Und: Vom Balkon des Cafés im obersten Stockwerk hat man einen ganz wunderbaren Blick über London.

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Victoria&Albert
So eine Art Kolonialwarenladen. Kunst im Handwerk. Ich fand den Bau mit dem großen Innenhof nett, als ich vor 2-3 Jahren hierher kam, um mir die große David Bowie Ausstellung anzusehen. Fragt mich nicht über die Exponate aus, die habe ich nicht gesehen 😉

London Transport Museum
Ein Kleinod, das ich fand, als ich früher als erwartet aus dem Büro kam und mir noch etwas Zeit in Soho um die Ohren schlagen musste. London Transport ist einer der ältesten ÖPNV-Anbieter. Im frühen 20. JH fuhren Pferdekutschen unter der Erde. Die Zeitreise vom ersten Tunnelbau bis zur heutigen modernen Underground ist definitiv einen Besuch wert

Science Museum
Alleine die riesige Dampfmaschine direkt hinter dem Eingang hatte mich sofort. Ich kam, sah, und schmolz dahin. Ein tolles Wissenschaftsmuseum, das sogar fast mit dem Deutschen Museum mithalten kann!

Cartoon Museum
Das kleinste der hier beschriebenen Museen. Ein ganz kleines, privat betriebenes Comic-Museum mit einigen sehr schönen Lewis Carroll Exponaten. Etwas für Hardcore Comic Fans.

An App a day keeps the worries away

Hier noch einige Links und Apps, die sich für mich als nützlich erwiesen haben:

Timeout ist das Londoner Stadtmagazin und wird kostenlos an den Underground-Stationen verteilt. Sehr lesenswert! Online unter http://www.timeout.com/london findet ihr alle Infos zur Stadt, zu Konzerten, Musicals, Theatern und Events. Gibt es zwar auch als App, aber da muss man dann für den gleichen Content zahlen, also lieber einfach online gehen und nachschlagen.

Citymapper ist eine, nein es ist die allerbeste ÖPNV-App, die euch sagt, wie ihr in London (Hamburg, Berlin, Rom und einigen anderen Städten) am besten und schnellsten von A nach B kommt

Wer mit dem Santander-Bike durch die Stadt radelt, braucht Cycle Hire. Die App zeigt euch, wo die Bike-Stationen sind und wo aktuell wie viele Räder stehen, bzw. wo noch Slots offen sind, um Euer Rad abzustellen (da kann es im Herbst und Winter zu sehr langen Schlangen kommen)

Den nächsten Pub mit gutem Bier findet ihr mit der Cask Finder App, herausgegeben vom Cask Marque Trust, einer Organisation, die besonders gute Pubs mit qualitativ herausragendem Bier auszeichnet

Alle, die nicht ihr Pflichtpensum an Monty Pythons absolviert haben, und sich in die Gehirnwindungen des britischen Humors einarbeiten wollen (und allen, die alles von den Pythons gesehen haben und mehr von dieser Art des Humors suchen) sei der Twitter-Account @SoVeryBritish empfohlen

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Should I stay or should I go

London ist teuer. Meine günstigste Unterkunft war ein traumhaftes 1-Zimmer Apartment in Kennington, das mich nur 98€ die Nacht gekostet hat. Vor kurzem hatte ich wieder einmal ein vergleichbar tolles Apartment über AirBnB in Oval. Das ist aber immer Glückssache. Unter £100 findet man kaum eine einigermaßen brauchbare Bleibe, wenn man nicht bereit ist, das Zimmer im Hostel zu teilen.

Hier meine Lieblingshotels/B&B‘s:

Kennington B&B
Nettes kleines B&B direkt an der Kennington Station. Sian, die Vermieterin, ist ein Schatz.

The Tommyfield
Hotel-Pub und Restaurant mit gutem Preis-Leistungs-Verhältnis. Gäste zahlen im Restaurant nur die Hälfte. Hervorragendes English Breakfast an Wochenenden. Gegenüber liegt das Dog House, mein Lieblingspub in London

Fox And Anchor
Noch ein Hotel-Pub. Einen Tick zu teuer, aber immer noch im machbaren Bereich.

The Mad Hatter
Noch ‘n Hotel-Pub (merkt man, dass ich sowas lieber mag, als normale Hotels?). Leider ist dieses Hotel aktuell eine große Baustelle.

Man zahlt in allen genannten Locations nur zimmerweise und kommt vergleichsweise günstig weg, wenn man zu zweit reist.

Meine persönlichen Highlights in einem guten Jahr London:

  • Als ich das erste Mal in meinem Stammpub, dem Doghouse, mit Namen begrüßt wurde
  • Das James Taylor Quartet in der Brooklin Bowl. Vorne spielt die Band, hinten wird gebowlt, an der Bar gibt’s Meantime
  • Spontanes Gospelkonzert in der Templar Church
  • Full english Breakfast mit Black Pudding <3

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  • Harry Potter im Palace Theatre
  • Die Lord Mayor Parade bei strömendem Regen
  • Cimbeline im Shakespeare Globe
  • 5th of November auf dem Vauxhall Green
  • Spontaner  Stehplatz für £7,50 One im Donmar Warehouse (one Night In Miami)
  • Die Meantime-Brauereibesichtigung (der Guide!)
  • Der nachmittägliche Spaziergang durch den Regent’s Park
  • Den eigenen Gin in der Distillery mixen
  • Die Walking Tours durch Soho und Shoreditch
  • Quer durch Kennington bei dickstem Londoner Nebel

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Zum Abschlus hier noch meine Google Map mit vielen der oben genannten Locations: