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Lance Lopez, oder: Wie ich durch Zufall eines der besten Konzerte meines Lebens sah

Seit einiger Zeit recherchiere ich, ob es in München irgendeine brauchbare Location für 70-80 Leute und eine Band gibt. Irgendwas leicht angeranztes (für die Bayern: „was oreidig’s“), wo man richtig die Sau rauslassen kann, ohne dass irgendwelche Nachbarn im Carré springen. Nichts holzgetäfeltes und keine Wirtschaft mit angeschlossenem Tanzsaal – damit fallen gefühlt 2/3 der Räumlichkeiten schon einmal weg. Und etwas bezahlbares. Damit entfällt ein weiteres Drittel. Ich war schon ziemlich verzweifelt, bis mir ein Hilferuf in meiner verlotterten Twitter-Timeline den entscheidenden Hinweis brachte:

Nunja, ein paar mal mit einer/m Romy hin- und hergemailt und das klang auch alles ganz gut, die Location machte auf den ersten Blick im Internet auch einen brauchbaren Eindruck, also habe ich auf ein interessant klingendes Konzert gewartet, um mir den Laden einmal persönlich anzusehen. Vorgestern war es dann so weit. Ein gewisser Lance Lopez war angekündigt. „Texas Blues“ – genau mein Ding. Leider regnete es bereits auf dem Weg zum Bahnhof – am Ostbahnhof angekommen schiffte es aus Eimern. Nach 20 Minuten Fußmarsch standen wir dann komplett durchnässt vor der Garage. Und die war zu. Mein Kumpel „was stand denn da auf der Ankündigung?“ – Ich: „naja – Lance Lopez. 16.10.“. Nagut. Vorgestern war der 15.10. und der Abend endete in einer versifften Currywurstbude in den Optimolwerken mit 2 Augustinern und 2 mal extrascharf.

Gestern abend dann der erneute Versuch. In Begleitung des Kumpels und eines sehr gut gelaunten Juniors, der am Vorabend wegen eines Schultheaterbesuchs nicht gekonnt hätte. Bei blendendem Wetter. Der Fußmarsch auf direktem Wege war auch 15 Minuten kürzer. Insgesamt also deutlich bessere Vorzeichen als noch vor 24 Stunden. Die Location betraten wir dann stilecht unter einem über der Tür angebrachten Cadillac, innen Autoteile und Konzertplakate (Motörhead, Black Metal & Co an den Wänden). Zeitreise in die frühen 80er. Sehr amtlich. Hätte ich nicht in München vermutet, hat auch was gutes, den Hintern mal wieder hochzubekommen!

Kurz – der Laden entsprach genau meinen Vorstellungen – musste ich nur noch den Besitzer finden und die Bude klarmachen. Hinter dem Thresen eine hübsche Brünette und direkt neben ihr am Zapfhahn ein älterer Typ in Lederjacke. Ich zur Brünetten: „Ist Romy da?“, Brünette: „Muss mal gucken. Was willste denn von dem?“. Ich: „wir haben gemailt, wegen Anmietung“. Daraufhin kommt die Hand der Lederjacke über den Thresen: „Wir machen das immer so. Hier kommen so viele Typen rein, die mir ein Ohr abkauen wollen.“ (wenn, wie in diesem Fall, zwei Herren in Lederjacke und über 1,92 m lichter Höhe vor dem Tresen stehen, ist das vielleicht auch eine ganz brauchbare Strategie. Man weiß ja nie, wer gerade so Schulden oder Schutzgelder eintreibt). Romy hat uns dann die Garage präsentiert. Beim Rundgang kamen wir auch im Backstage-Raum vorbei. Da saß die Band in einer dicken Wolke gesunden Rauches sehr relaxt. Auf dem Tisch stand ein Cooler mit einer Flasche Jack Daniels. Vielversprechend! Als ich zu Romy meinte, dass ja am gleichen Abend auch Ten Years After (yepp – die gibt’s noch!) im Backstage aufträten, kam nur ein knappes: „Die hatte ich auch schon, aber Lance ist besser. Der spielt sich den Arsch ab. Bei jedem Konzert. Wart’s mal ab!“.

Der Laden füllte sich langsam. Insgesamt waren dann wohl so um die 80 Leute da. Das Publikum war mir ganz überwiegend 2-3 Lebensphasen voraus und musste sich über globale Erwärmung keine Sorgen mehr machen. Sehr hoher Sam Elliott-Anteil. Wir senkten den Altersschnitt (na gut. In erster Linie senkte Junior den, aber Chris und ich waren auch noch drunter). 2-3 Halbe später kam die Vorgruppe. Blues Company aus Straubing. Eine Coverband, aber sehr gut unterwegs. Ein bisschen Richtung Cream. Kurze Pause, dann kam Lance Lopez mit Cowboyhut mit einem Bassisten und einem Schlagzeuger auf die winzige Bühne. Und es begann eine religiöse Erfahrung.

Ich erwähnte hier ja schon öfters, dass ich fast ausschließlich noch in möglichst winzige Locations gehe, um mir Konzerte anzusehen (bzw. -hören). Gründe galore:

Du reist ganz entspannt an, keine Einlassschlangen, keine Körperkontrolle. Es gibt keine bulligen Security-Typen, die ihren Testosteronüberschuss irgendwo am Publikum auslassen müssen. Du drängelst nicht schon Stunden vor dem Konzert in irgendwelchen Menschentrauben rum. Du stehst selbst in der hintersten Ecke noch näher an der Bühne, als im Olympiastadion in der allerersten Reihe. Es gibt Bier aus Gläsern und keinen Becherpfand. Die Akustik ist meistens besser und wenn Du dem Mann am Mixpult streng in die Augen blickst und den Daumen hebst, dreht er lauter. Und vor allem: An magischen Abenden verschmelzen Band und Publikum zu einer magischen Einheit. Die Luft glüht, du bist nicht auf einem Großkonzert Teil einer manischen Rinderstampede, die durch die Halle trampelt, sondern da sind nur die Musik, die Band und du. Und Gleichgesinnte. Und das war bei diesem Konzert der Fall.

Bevor ich zur Musik komme, vielleicht noch ein paar Worte über Lance und seinen Hintergrund:

©LastFM über Lance Lopez

Geboren 1977 in Shreveport, Louisiana.
Mit 10 Jahren sah Lance zusammen mit seinem Bruder sein erstes Live-Konzert. Es war in Austin ein Auftritt vom Texas-Hero STEVIE RAY VAUGHAN. Das war der Auslöser für Klein-Lance mit der Guitarre anzufangen.
In kürzester Zeit brachte ihm sein Bruder die nötigen Grundbegriffe bei und bereits mit 12 Jahren spielte Lance mit seiner eigenen Band in der Umgebung von Shrievenport / Louisiana, wo die Familie Lopez wohnte. Mit 14 Jahren war er Louisianas Top-Act, der alle Clubs, Hallen und Festivals bespielte. Seine Familie zog dann zuerst nach Florida, wo er die Schule abbrach um sich nur der Musik zu widmen und auch von ihr zu leben. Nach der Trennung seiner Eltern, zog die Mutter wiederum mit ihren zwei Söhnen weiter nach Texas. Mit 16 Jahren bekam LANCE LOPEZ seinen ersten Plattenvertrag mit GROOVEYARD RECORDS, einem Label, welches sich nur auf Guitarristen spezialisiert hatte.
In der Zwischenzeit sind 10 Jahre vergangen und LANCE LOPEZ hat bisher 5 CD’s eingespielt. Darunter auch eine mit DOUBLE TROUBLE, dem Begleitduo seines Idols STEVIE RAY VAUGHAN. Auch mit BUDDY MILES und JAMES COX, die mit JIMMI HENDRIX die legendäre Silvester Live-LP BAND OF GYPSIS einspielten, nahm LANCE LOPEZ eine CD auf.
Mit 18 Jahren war er dann zum ersten Mal in Europa. Leider hatte er sich mit einem betrügerischem Management eingelassen und wurde von diesem auch völlig ausgebeutet. Mit 20 Jahren heiratet er und bekommt schnell 3 Kinder. Wie viele Musiker ist er vom Musik-Business ziemlich frustriert. Er beginnt zu trinken und zu kiffen. Es folgen die härteren Drogen. Verhaftungen und Knast. Das berüchtigte Gefängnis in Texas, wo die Gefangen vom Wachpersonal gedemütigt werden. Sie müssen dort in rosa Kleidung rumlaufen und als sog. „Chain-Gangs“ aneinander gekettet im Steinbruch schuften. 2007 wurde er wieder „auf Bewährung“ freigelassen. Das Gefängnis und die Schufterei haben ihm geholfen „clean zu werden“ und zu bleiben.
Im Mai-Juli 2009 kam er zur etwas ausgedehnten Tour nach Europa. Er spielt da kleine Clubs aber er ist auch als Support für ZZ TOP auf Tour. BILL GIBBONS von ZZ TOP betont, dass sie sich dabei verdammt anstrengen müssen, um nicht von Klein-Lance von der Bühne weggefegt zu werden.
LANCE LOPEZ wird nicht umsonst „the Killer Guitar from Texas“ genannt. 

Wenn man sich eine Biografie für einen Texanischen Bluesrock-Gitarristen mit street-credibility ausdenken müsste, wäre es wohl diese, oder?

Lance und seine beiden Jungs brauchten genau 4 Takte und 2 Licks, und sie hatten mich. Aber wie. Erdiger Texas-R’n’B, wunderbare Bassläufe, perfektes Schlagzeug. Dazu eine rauchige Raspelstimme und kein näselndes Falsette wie beim frühen Clapton oder bei Bonamassa. Und diese Gitarre. Diese perfekte Technik gepaart mit Gefühl – er spielt den Blues nicht, er hat ihn. Und wie. Derartige Gitarrensoli habe ich bislang nur einmal gehört. Von Bill Gibbons, als der noch 20 Jahre jünger war (und falls jetzt wer um die Ecke kommt und oberklug meint: „Du hast doch auch Brian May in seinen besten Zeiten erlebt“ – das ist nullkommanull vergleichbar, das ist ganz andere Musik). Der Absatz in der Last FM-Biografie schmeichelt ZZ Top – Lance spielt die an die Wand. Ohne Lightshow. Ohne Backgroundvideos. Ohne langbeinige GoGoGirls. Nur der Cowboy und seine Gitarre. Gänsehaut!

Wir haben zweieinhalb (!) Stunden durchgerockt. Er da auf der Bühne und ich hier im Publikum. Wobei das nur 20 cm auseinander war.

Einen Vorteil der kleinen Locations habe ich oben vergessen: Nach dem Konzert sitzt Du mit der Band am Tresen und trinkst ein Bier. Oder auch mehrere. Ein feiner Typ ist das!

Und offensichtlich hat ihm die Show auch gefallen…

Ich bin nicht in der Lage, die Konzerte, die ich so im Laufe meines Lebens bislang sah, in irgendeine Art von Ranking zu bringen. Aber ich bin sehr überzeugt davon, dass dieses Konzert einen Platz in den Top10, wenn nicht Top5 einnimmt.

ZZ Top – Tollwood

ZZ Top habe ich jetzt bestimmt schon 7 oder 8 mal gesehen. Bei denen habe ich ja noch als Security gearbeitet, so lange gibts die schon. Gestern dann auf dem Tollwood. Da spielen ja alle immer an der oberen Grenze. Magisches Veranstaltungsgelände.

Vorgruppe Ben Miller. Mit Gitarre, Waschbrett, Banjo, mal mit Posaune, und immer ein Zinkzuber mit ner Holzstange und nem Gummiband als Bass. Sehr hörenswerter New Orleans Südstaaten Shuffle Bluegrass. Tobende Menge beim Opening Act. man stelle sich das mal vor. Von denen wird man noch hören! Die CD gibts momentan nur als Download. Und a bisserl was auf Myspace – danke fürs zeigen, ZZ!

Dann die ZZ’s, die in diesem Falle wirklich top waren. Ich meine, Bill Gibbons ist an der Rentengrenze, da weiß man ja nie. Aber die einzige Musik, die man bis in die Achtziger noch auf der Bühne vortragen kann ist eben Chicago Blues (najagut, und Jazz natürlich und vielleicht Country) . Die jungs haben viele alte Sachen gespielt, also die richtig guten, ihre größten Ballermann-Hits (Sharp Dressed Man, Gimme all your loving) und ein paar Sachen von der ganz neuen „La Futura“, die ja wieder zurück zu den Wurzeln kehrt. Einzig störend war die übertriebene Bühnenshow, mit den ganzen Videos. Mir hätten da ein paar Lampen gereicht, die an- und ausgehen. Bei den Blues-Nummern haben sie sich darauf beschränkt und dann war das auch plötzlich viel intimer und besser und passender fürs Tollwood-Zelt.

Leider nur 80 Minuten, die dafür aber vollgepackt mit hervorragendem Texasblues. Thanks ol‘ men!

Everlast Unplugged – Backstage

Vorgestern war ich beim alten Mann Everlast. Unplugged – 2 akustische Gitarren und eine Reibeisenstimme. Er hat ja manchmal noch diese Rapper-Macho-Attitüde, aber mittlerweile mit einem Augenzwinkern. Hat viel mit uns geredet, es gab ne Menge Dialoge bei denen er auf das eingegangen ist, was das Publikum gerufen hat. Sehr schön, sehr intim. Und der Rasta da links spielt eine göttliche Gitarre

Keith Richards – Autobiographie eines Dinosauriers

Ich bin jetzt zu 90% durch mit der Autobiographie Life! von Keith Richards. Das war mein erstes über die virtuelle Münchener Stadbibliothek geliehenes e-Book. Leider habe ich es nicht in der verfügbaren Leihbibliotheks-Zeit geschafft, die letzten 150 der 670 Seiten zu lesen und musste mir deswegen – weil die nächste Verfügbarkeit des e-Books im Mai liegt – das Taschenbuch bestellen. Das ist aber egal, weil ich jetzt schon, nach den ersten fünfhundertirgendwas Seiten, total begeistert bin und aus diversen Gründen das Buch sowieso gekauft hätte (bzw. gekauft habe)

Richards stammt aus kleinbürgerlichen Verhältnissen des Kriegs-Englands und das erste Fünftel seiner Autobiographie beschäftigt sich mit seiner Kindheit, Jugend, seinem Großvater, seiner Tante (die ihm beide sehr wichtig waren) und seinen ersten Begegnungen mit einer Gitarre. Wenn er da über Pferdekutschen, Schuluniformen und Fliegeralarme schreibt, wird einem erst so richtig klar, wie alt dieser Rock’n’Roll-Dinosaurier eigentlich ist. Sukzessive saugt einen das Buch in eine Welt des frühen Chicako-Blues, die Welt der alten Haudegen und Blues-Protagonisten wie Muddy Waters, BB King, Howlin‘ Wolf & Co. Die Stones sind überhaupt erst entstanden, um diese Musik zu spielen. Mick Jagger und Keith Richards kannten sich zwar aus der Schule, aber KR sprach MJ überhaupt erst an der Bushaltestelle an, weil letzterer einen Haufen aktueller Blues-LP’s unter dem Arm hatte.

Die Karriere von KR und den Stones basiert auf eindrucksvollem Selbststudium. Die frühen Bandmitglieder wohnten zusammen und verbrachten ihre gesamte Zeit mit dem Studium der seinerzeit aktuellen Blues-Heroen. Wie hat der das wohl gespielt? Wie kann man das umsetzen? Jede andere Beschäftigung (Frauen, Geld verdienen …) war sozial geächtet. Ein Leben der totalen Hingabe zum Blues.

KR ist Autodidakt. Man verfolgt irsinnig gespannt seine Fortschritte auf der Gitarre. Das Selbststudium des Instruments, der Ständige Autausch mit bekannten Gitarristen – wie hast Du diesen Lick so hinbekommen? – die „Eingebung“ des Open Tunings (die Saiten total anders stimmen, als auf einer normalen Gitarre üblich), die Sonderanfertigung fünfsaitiger Gitarren auf Anforderung usw. Das Buch fixt den Leser immer wieder an, eine Gitarre in die Hand zu nehmen.

Es fixt den Leser auch immer wieder an, Heroin, Acid, Amphetamine, Morphium, Kokain oder ähnliche Drogen auszuprobieren. Richards war lange lange Zeit ein extremer Junkie und er steht dazu. Seine Drogenerfahrungen klingen nicht einmal besonders bereuuend oder negativ. Politisch korrekt rät er zwar sporadisch vom Konsum ab, aber er schreibt auch relativ klar, dass die Drogen für ihn eine fast schon notwendige Unterstützung für das Songwriting und die Auftritte waren. Die halbe Band war extrem auf Drogen und entsprechend unter intensiver Beobachtung der Exekutive und ein Großteil des Buches befasst sich mit dem Katz-und-Maus-Spiel zwischen den Musikern und der Staatsgewalt. Die Drogenheroik liest sich sehr interessant, ist aber auch der einzige Grund, warum ich das Buch vor Junior (immerhin fast 15) unter Verschluss halten werde. Schon sehr verklärend, die Darstellung. Da bekommt man fast Lust, mal die Sachen auszuprobieren, die man bislang noch nicht intus hatte…

Am beeindruckendsten ist das Buch immer dann, wenn es um Musik geht. Wie sind die berühmten Songs entstanden? Wo und unter welchen Umständen wurden die wichtigen Alben aufgenommen? Welche Musiker haben die Stones besonders beeinflusst? Richards kennt offensichtlich jeden bekannten Musiker seit 1940, hat mit jedem gespielt, einige eingehen gesehen, hat John Phillips (den Bandleader von den Mamas and The Papas – California Dreaming, If you’re going to San Francisco usw.) persönlich an die Nadel gebracht, mit vielen Stars sehr persönliche Dinge erlebt. Satisfaction hat er im Rausch nachts auf Band aufgenommen und erst am nächsten Morgen auf der Kassette gehört. Exile On Main Street entstand im Keller seiner französischen Exil-Villa (England hatte den Höchststeuersatz u.a. aufgrund der Stones auf 99% gehoben, um die Band aus dem Land zu treiben) usw. Die Geschichten über KR und andere berühmte Musiker sind Legion und irrsinnig spannend.

Ich habe mir den Spaß gegönnt, immer die Songs laufen zu lassen, von denen er gerade schrieb. Das hat die Lektüre doppelt veredelt. Ich höre jetzt die Stones und viele andere Musiker mit anderen Ohren und habe wahnsinnig viel über die Musik zwischen 1960 und 1980 gelernt.

Kaufempfehlung!

Beatsteaks, Max-Schmeling-Halle Berlin

Gestern abend in Berlin

die Beatsteaks

Arnim – die Rampensau.

Holla die Waldfee… Eine pickepackevolle Max Schmeling Halle. Heimspiel. Arnim von der Bühne: „Ick möchte, det morgen inner Zeitung steht, dass det Samstagskonzert ausfallen muss, weilet Dach vonner Max Schmeling Halle wegjeflogen is!“.

Um es kurz zu machen: Das Dach ist weg. Im Orbit! Wall Of Death, Pogo – aber auch die fette Brass Section von Seeed, die immer dann, wenn sie mit auf der Bühne Stand für sehr fetten Sound gesorgt hat.

(wir standen für meine Verhältnisse relativ weit hinten – da war ein Wellenbrecher, der uns aufhielt…)

Das Publikum ging steil wie Zäpfchen und der Band hat es sichtlich Spaß gemacht. Als Zugabe kam u.a. In Bloom von Nirvana (inkl. Verspieler und Huddle auf der Bühne, „so sieht det im Probenraum ooch imma aus“). Der Liveklassiker aus Linie 1 – Schön, auch wenn du weinst“ von zehntausenden Kehlen in echtem Berlinerisch mitgegröhlt (Ankündigung: „woanders sagen wer immer , det jetze n Song aus Berlin kommt. Hier müssen wer jetzt nüscht sagen…“)

Zwei volle Stunden lang Starkstrom.

Am geilsten: Die Band geht von der Bühne, das Licht geht an – alles singt den Einspieler von den Beatles mit. Konzert ganz eindeutig vorbei. Nach 3-4 Minuten stürmt plötzlich die Band wieder auf die Bühne und Armin schreit „wollt ihr noch eenen?“ und sie spielen noch ne Zugabe. habe ich so noch nie erlebt, das Konzert war „offiziell“ wirklich schon durch

Kraftwerk, Kongresshalle München

BANG BUM TSCHAK

Kraftwerk gab gestern und gibt heute in Summe 3 Konzerte (heute eines um 20h und eines um 00h) anlässlich einer 3D-Installation im Lenbachhaus, die sie konzipiert und realisiert haben. Ich war gestern da.

Erste Überraschung: Vor der alten Kongresshalle (einer mir bis dato unbekannten, aber sehr sehr schönen Location, die komplett im 50er Jahre Stil renoviert wurde) in der das Konzert stattfand, stand gesittet eine lange Schlange Menschen. Kein Gedränge oder Schieben. Waren auch überwiegend ältere Herrschaften, ich habe den Altersschnitt nicht unbedingt angehoben.

Am Eingang bekam jeder Zuschauer eine 3D-Brille. Wir sind dann, einem Tipp folgend, nach oben auf die Galerie. Da standen 4 Projektoren (wir haben gefragt. Stückpreis 80.000 EURO ohne Leuchtmittel…) in deren Nähe hinter dem Mischpult wir uns platziert haben.

Das Konzert war typisch Kraftwerk. 4 Pults für die 4 Musiker, dahinter eine riesige Leinwand, auf die 3D projiziert wurde. Da schwebten dann bei Computerwelt riesige Binärcodes über unseren Köpfen, bei TEE rasten Züge durch die Menge, bei Radioaktivität rotierten Atome in der Luft und bei Spacelab flog selbiges durch die Gegend.

Dabei sind sie nie ihrem langjährigen minimalistischen Stil untreu geworden. Da waren keine Showeffekte nur um des Effektes willen, keine fotorealistischen Eskapaden – so waren bei Autobahn die Fahrzeuge eher kantig, comicartig im 50er Jahre Stil dargestellt – alles war so, wie man es von Kraftwerk kennt und erwartet und wie es sich mittlerweile schon zum Markenzeichen der Gruppe entwickelt hat.

die Bilder können leider das Dreidimensionale nicht so wirklich darstellen

Das war mehr eine Performance, als ein reines Konzert, wobei sie wirklich 2 Stunden und 20 Minuten lang einen riesigen Hit nach dem anderen gespielt haben und der Sound so genial ausgesteuert war, wie man das selten erlebt. Die Tieftöne brachten einem die Gonaden zum Schwingen und die Lautstärke war perfekt. Und wenngleich das auch keine der üblichen Konzertperformances war, bei denen die Schweißtropfen fliegen und die Rampensau die Menge zum toben bringt, war es doch eine sehr sehr intensive Erfahrung

Manu Chao auf dem Tollwood

Ich gehe seit mehr Jahren auf Konzerte, als Justin Bieber alt ist. Ich habe ein halbes Jahrzehnt vor und hinter Konzertbühnen gearbeitet. Ich habe Bob Marley live gesehen und Queen, Dire Straits und Clash, die Pogues, als Shane noch Zähne hatte, die Chili Peppers, bevor man sie kannte und Nirvana, als Kurt die Schrotflinte noch im Keller hatte. Die Zahl der von mir besuchten Konzerte ist Legion. Aber so etwas wie heute abend Manu Chao markiere ich mir rot im Kalender und falte das Ticket ehrfürchtig zusammen und lege es vorsichtig in die letzte CD (ein Dreck, dass es keine LP-Hüllen mehr gibt! Man muss jetzt falten!).

Manu Chao hat meine Finger angefeuchtet, mit Hochdruck in eine Starkstromsteckdose gerammt und dann auf 11 gedreht (this one goes to eleven!). Ich alter Sack stand heute 120 Minuten lang vor der Bühne und habe mir die Seele aus dem Leib getanzt. In einem Zelt voller Leute, die aus der ganzen Republik angereist sind, weil Manu Chao in Deutschland nur 2 Konzerte gibt. Leute, die alle Texte auswendig kennen, was mir deswegen verborgen bleibt, weil ich kein spanisch spreche und mein Französisch sich auf „a la pression“ beschränkt. In München singen Hunderte (wie viele passen eigentlich ins Tollwood-Zelt?) aus voller Kehle jeden Song nach 2 Sekunden mit. Auf fucking Spanzösisch!!!!!

Ich schimpfe ja gerne mal aufs Münchener Schickimickipublikum, das stimmungsunfähige. Heute neige ich mein Haupt in Ehrfurcht. Ein gutes Konzert funktioniert mit einer tollen Band. Ein denkwürdiges Konzert funktioniert nur, wenn dazu auch noch ein tolles Publikum kommt!

Zur Band kann ich hier nicht so richtig viel schreiben, was ich nicht zur Erscheinung der jeweiligen CD’s schon im entsprechenden Thread monologisiert habe. Manu Chao lässt sich in keine Schublade stecken. Er singt seine Texte auf spanisch, französisch und englisch. er spielt einen Song als spanischen Mariachisong mit Gitarre an, wechselt dan in einen relaxten Reggaerhythmus, macht daraus einen Pogo-Punksong, dann eine Polka und beendet das Ganze als Chanson. Unmöglich, das zu beschreiben!

Das Line-Up bestand (anders als auf der letzten Live CD Bayonnarena) nur aus ihm selbst, Gitarre, Schießbude und Bass. Schon vor dem Konzert dachte ich mir „Hui, dieser Roadie hat eigentlich besseres verdient, als als Roadie zu arbeiten, so wie der spielt“ und wunderte mich darüber, dass viele ihm zujubelten, Naja. Der Roadie war der Drummer der Band, der einfach keinen Roadie braucht/hat/will. Das ganze übliche Getue mit den gefakeden Zugaben, die schon auf dem Zettel stehen, der vorher auf die Bühne geklebt wird, mit Licht an, Licht aus, ewigem Wartenlassen des Publikums, all das hat Manu Chao nicht nötig. Vor der letzten Zugabe gab es eine Beratung auf der Bühne, was man jetzt wohl spielen möge.

Die Jungs waren ganz offensichtlich total begeistert von diesem Publikum, spielen 80 Minuten in einer Hammergeschwindigkeit, dann rennt Manu von der Bühne, die anderen spielen weiter, gehen dann auch. Während das Publikum schon „Zugabe“ skandieren will, kommt er wieder und wirft gekühlte Wasserflaschen in das Publikum (ja, es war ziemlich warm!). Dann steht er alleine da vorne und klatscht mit und freut sich wie ein Kind, dann kommen die anderen wieder udn sie spielen weiter. Dreimal wollten die von der Bühne, sind aber nicht runtergekommen, weil das Publikum einfach weitergesungen hat, dann haben sie sich ihre Instrumente geschnappt und den jeweils letzten Song weitergespielt, dessen Refrain das Publikum noch skandierte. Die Wasserwerfnummer haben sie dann auch jedes mal gebracht.

Ich habe leider nie die Grateful Dead live gesehen, aber denen eilte ein ähnlich legendärer Live-Ruf voraus, wie heute Manu Chao. Ich habe die Karte auch deswegen ersteigert, weil ich das nicht so recht glauben wollte, was denen für ein Live-Ruf vorauseilte. ich krieche zu Kreuze!

Und wenn ihr all das nicht glauben wollt, dann glaubt mir nur, dass ich alter Sack 2 Stunden lang bei über 30 Grad rumgehüpft bin wie ein Schamane bei der Geisteraustreibung.

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