Das digitale Dilemma

Der von mir hoch geschätzte Johnny Haeusler hat mit einer Kolumne in Wired viel Staub aufgewirbelt. Kernthese: Verlage, macht eure Websites dicht! Es folgte natürlich ein großer Aufruhr in der Medienwelt. Nachdem das Thema mich ja seit langem verfolgt, habe ich einmal (was ich sonst grundsätzlich nie tue) zur virtuellen Feder gegriffen und einen Kommentar geschrieben. Bittesehr:

Die geschilderte Ausgangssituation kann wohl jeder unterschreiben, der seine Kinder und deren Freunde bei der Mediennutzung beobachtet und/oder selbst viel im Netz unterwegs ist. Da wird schon lange nicht mehr nach dem Motto „ist ja alles so schön bunt hier“ von Website zu Website „gesurft“, sondern es werden ganz gezielt die Häfen angesteuert, in denen man seinen vertrauten Liegeplatz hat.

Letztes Jahr habe ich einige Panels zum Thema „Mediennutzung“ mit Jugendlichen unterschiedlicher Herkunft durchgeführt und das Ergebnis war ziemlich eindeutig: Viele hatten gar keinen Fernseher mehr, sondern streamten nur noch; die Nachrichten kamen überwiegend über die sozialen Netze (bevorzugt Facebook, bei Studenten auch öfter mal Twitter) ins Haus.

Was deine Ausgangslage darüber hinaus stützt, ist die mittlerweile statistisch belegte Tatsache, dass sich das Mediennutzungsverhalten über die Jahre hinweg kaum ändert. Der insbesondere von Zeitungsverlegern gerne geäußerte Satz „die kommen schon noch ins Alter für die Zeitung“ stimmt schlicht und ergreifend nicht. Wer digital aufwächst, wird auch digital alt! Da kann sich durchaus das bevorzugte Social Network einmal ändern, ein Digital Native wirft aber nicht plötzlich das Tablet in die Ecke und raschelt mit Papierseiten.

Das haben nun nach langem und zähem Sträuben auch die Verleger erkannt und stecken viel Geld und Mühe in den Betrieb ihrer digitalen Angebote, um ihre Nachrichten auch weiterhin an den Empfänger zu bringen – und das auch noch unter verschärften Bedingungen, denn zum einen ist der Wettbewerb immens (so mancher Blogger meines Vertrauens muss sich nicht hinter professionellen Redakteuren verstecken), zum anderen erhalten Verlage für ihre digitalen Angebote nur einen Bruchteil der Vertriebs- und Anzeigenerlöse, die sie aus den guten alten Print-Zeiten gewohnt sind.

Nun sind aber auch Verlage Wirtschaftsunternehmen und müssen mit dem, was sie da tun, Geld verdienen. Und genau das ist der Punkt, wo ich Schwierigkeiten mit der Handlungsempfehlung habe, die Du aus der so treffsicher beschriebenen Ausgangslage ziehst: „Reduziert eure Wertschöpfungstiefe, Verlage! Werdet Zulieferbetriebe!“.

Aus meiner Sicht kann Dein Vorschlag aus folgenden drei Gründen nicht funktionieren:

1. Die Kraft der Marke
Der ideelle und wirtschaftliche Wert einer Nachricht – also sowohl deren Glaubwürdigkeit, als auch das Geld, das sich mit dem Verkauf der Nachricht verdienen lässt – steht und fällt mit der Qualität des Absenders. Wenn dpa, SZ oder Spiegel etwas veröffentlichen, nimmt man das anders wahr, als wenn es aus irgendeiner ominösen Quelle stammt, die sich nicht wirklich nachvollziehen lässt. Das haben gottseidank auch Deine und meine Kinder mittlerweile glasklar erkannt. Unterm Strich geht es also um Kraft der Marke, was Du ja auch selber bestätigst, wenn Du schreibst „Die generelle Funktion von Verlagen und Marken als vertrauenswürdige Absender und Kuratoren wird also keineswegs überflüssig“. Nachdem sie ihr Informationsmonopol verloren haben, bleiben den Verlagen als Kernkompetenzen nur noch ihre ausgebildeten Redaktionen und ihre Marken. Wie sollen sie ihre Marken stärken, wenn sie bestenfalls noch im Co-Branding auftauchen?

2. Der Geiz der Social Networks
Google, Facebook & Co verbreiten zwar liebend gerne den Content anderer Quellen, weil es ihre Reichweite befördert, aber sie zahlen nicht dafür. Und sie sind mittlerweile so stark, dass sie diese Position auch durchsetzen können. Jüngstes Beispiel ist das Einknicken der VG Media (Zusammenschluss der wichtigen deutschen Verlage), die gegen die unentgeltliche Nutzung ihrer Inhalte durch Google vorgehen sollte. Am Ende des Tages haben die Verlage gegenüber Google eine widerrufliche ‘Gratiseinwilligung’ in die unentgeltliche Nutzung ihrer Presseerzeugnisse abgegeben. Begründung: “Die VG Media Presseverleger sehen sich angesichts der überwältigenden Marktmacht von Google zu diesem außergewöhnlichen Schritt gezwungen”. Natürlich brauchen Facebook, Snapchat und Co. den Content der verlinkten Sites – die Abhängigkeit ist gegenseitig. Jeff Bezos hat sicherlich nicht ohne Hintergedanken 250 Mio. $ für die Washington Post auf den Tisch gelegt (die übrigens auch immer noch eine Website betreibt). Aber dass sie, wie Du schreibst „genauso wie die alten Nachrichtenkanäle agieren und in naher Zukunft professionelle Content-Lieferanten bezahlen werden“ halte ich für sehr, sehr unwahrscheinlich.

3. Die Penunze
In Ansätzen funktioniert bezahlter digitaler Journalismus bereits. Es sind ebenso seltene, wie fragile Ansätze, aber immerhin. Der gesichtsbehaarte Chefredakteur wird nicht müde, mit den 200.000 digitalen Abonnenten seiner fragwürdigen Publikation zu prahlen. Das Wall Street Journal hat über 900.000 digitale Subscriber, die jeden Monat 22$ zahlen. Die Paywalls schießen aktuell wie Pilze aus dem Boden. Auch als digitales Werbeumfeld mit hochwertigen Zielgruppen funktionieren die Verlagswebsites. Soll man da jetzt wirklich die Tür abschließen und den Schlüssel wegwerfen?

Ich teile also die von Dir geschilderte Ausgangssituation voll und ganz, komme aber zum genau gegenteiligen Schluss: Verlage, baut Eure Websites aus! Der direkte Kontakt mit dem Leser ist für Verlage überlebenswichtig. Exklusive, gut recherchierte und interessante Nachrichten einfach auf einen Cloudserver mit thesaurierten xml-Dateien zu stellen, würde den Markenwert der Verlage vernichten, die Einnahmen deutlich reduzieren und auf Sicht zum großen Redaktionssterben führen.

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