Keith Richards – Autobiographie eines Dinosauriers

Ich bin jetzt zu 90% durch mit der Autobiographie Life! von Keith Richards. Das war mein erstes über die virtuelle Münchener Stadbibliothek geliehenes e-Book. Leider habe ich es nicht in der verfügbaren Leihbibliotheks-Zeit geschafft, die letzten 150 der 670 Seiten zu lesen und musste mir deswegen – weil die nächste Verfügbarkeit des e-Books im Mai liegt – das Taschenbuch bestellen. Das ist aber egal, weil ich jetzt schon, nach den ersten fünfhundertirgendwas Seiten, total begeistert bin und aus diversen Gründen das Buch sowieso gekauft hätte (bzw. gekauft habe)

Richards stammt aus kleinbürgerlichen Verhältnissen des Kriegs-Englands und das erste Fünftel seiner Autobiographie beschäftigt sich mit seiner Kindheit, Jugend, seinem Großvater, seiner Tante (die ihm beide sehr wichtig waren) und seinen ersten Begegnungen mit einer Gitarre. Wenn er da über Pferdekutschen, Schuluniformen und Fliegeralarme schreibt, wird einem erst so richtig klar, wie alt dieser Rock’n’Roll-Dinosaurier eigentlich ist. Sukzessive saugt einen das Buch in eine Welt des frühen Chicako-Blues, die Welt der alten Haudegen und Blues-Protagonisten wie Muddy Waters, BB King, Howlin‘ Wolf & Co. Die Stones sind überhaupt erst entstanden, um diese Musik zu spielen. Mick Jagger und Keith Richards kannten sich zwar aus der Schule, aber KR sprach MJ überhaupt erst an der Bushaltestelle an, weil letzterer einen Haufen aktueller Blues-LP’s unter dem Arm hatte.

Die Karriere von KR und den Stones basiert auf eindrucksvollem Selbststudium. Die frühen Bandmitglieder wohnten zusammen und verbrachten ihre gesamte Zeit mit dem Studium der seinerzeit aktuellen Blues-Heroen. Wie hat der das wohl gespielt? Wie kann man das umsetzen? Jede andere Beschäftigung (Frauen, Geld verdienen …) war sozial geächtet. Ein Leben der totalen Hingabe zum Blues.

KR ist Autodidakt. Man verfolgt irsinnig gespannt seine Fortschritte auf der Gitarre. Das Selbststudium des Instruments, der Ständige Autausch mit bekannten Gitarristen – wie hast Du diesen Lick so hinbekommen? – die „Eingebung“ des Open Tunings (die Saiten total anders stimmen, als auf einer normalen Gitarre üblich), die Sonderanfertigung fünfsaitiger Gitarren auf Anforderung usw. Das Buch fixt den Leser immer wieder an, eine Gitarre in die Hand zu nehmen.

Es fixt den Leser auch immer wieder an, Heroin, Acid, Amphetamine, Morphium, Kokain oder ähnliche Drogen auszuprobieren. Richards war lange lange Zeit ein extremer Junkie und er steht dazu. Seine Drogenerfahrungen klingen nicht einmal besonders bereuuend oder negativ. Politisch korrekt rät er zwar sporadisch vom Konsum ab, aber er schreibt auch relativ klar, dass die Drogen für ihn eine fast schon notwendige Unterstützung für das Songwriting und die Auftritte waren. Die halbe Band war extrem auf Drogen und entsprechend unter intensiver Beobachtung der Exekutive und ein Großteil des Buches befasst sich mit dem Katz-und-Maus-Spiel zwischen den Musikern und der Staatsgewalt. Die Drogenheroik liest sich sehr interessant, ist aber auch der einzige Grund, warum ich das Buch vor Junior (immerhin fast 15) unter Verschluss halten werde. Schon sehr verklärend, die Darstellung. Da bekommt man fast Lust, mal die Sachen auszuprobieren, die man bislang noch nicht intus hatte…

Am beeindruckendsten ist das Buch immer dann, wenn es um Musik geht. Wie sind die berühmten Songs entstanden? Wo und unter welchen Umständen wurden die wichtigen Alben aufgenommen? Welche Musiker haben die Stones besonders beeinflusst? Richards kennt offensichtlich jeden bekannten Musiker seit 1940, hat mit jedem gespielt, einige eingehen gesehen, hat John Phillips (den Bandleader von den Mamas and The Papas – California Dreaming, If you’re going to San Francisco usw.) persönlich an die Nadel gebracht, mit vielen Stars sehr persönliche Dinge erlebt. Satisfaction hat er im Rausch nachts auf Band aufgenommen und erst am nächsten Morgen auf der Kassette gehört. Exile On Main Street entstand im Keller seiner französischen Exil-Villa (England hatte den Höchststeuersatz u.a. aufgrund der Stones auf 99% gehoben, um die Band aus dem Land zu treiben) usw. Die Geschichten über KR und andere berühmte Musiker sind Legion und irrsinnig spannend.

Ich habe mir den Spaß gegönnt, immer die Songs laufen zu lassen, von denen er gerade schrieb. Das hat die Lektüre doppelt veredelt. Ich höre jetzt die Stones und viele andere Musiker mit anderen Ohren und habe wahnsinnig viel über die Musik zwischen 1960 und 1980 gelernt.

Kaufempfehlung!

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