Kreuzfahrt des Grauens

Wie schön, wenn man von sich behaupten kann, keine Vorurteile zu haben, sondern feststellen kann, dass man lediglich die Realität richtig einschätzte. Mein Vorurteil: Kreuzfahrten sind für Viele etwas Wunderbares, aber nicht für mich. Die Realität: In Zukunft definitiv ohne mich!

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Glaubt nicht, dass ich freiwillig auf diesen Pott ging – man hat mich verschleppt! Familiärer Gruppendruck. Unschlagbares Angebot für Reisebüroangestellte (die Holde). Zu Hause bleiben ja mindestens genauso teuer. Auch mal was für die Familie machen, nicht immer nur Tauchen. Die Kinder wollen auch mal. Und so.

Ort des Grauens: Eines der hässlichsten mir bekannten Kreuzfahrtschiffe: „Mein Schiff“. Nicht „Die Europa“, „die QE2“ oder „die Hanseatic“ –kein stolzer Oceanliner mit Tradition und schlanker Wasserlinie, nicht einmal „Die Mein Schiff“ sondern einfach „Mein Schiff“ (Trivia: der Name ist Ergebnis eines Publikumswettbewerbs in der BUNTE – das Schiff wurde von Ina Müller getauft). Ein schwimmender Schuhkarton mit quadratisch-verbautem Hinterteil (ein sog. „Ducktail“).

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Der Name ist Programm. Ein hässlicher Pott mit blauem Anstrich, auf den wahllos graffittiartig Substantive wie „Sonnenuntergang“ und „Wohlfühlen“ geklatscht wurden. 265 Meter Länge, 77.000 BRZ, 2.000 Passagiere, 800 Crew. Ein Hotelbunker mit Auftrieb und Balkonkabinen. Das war übrigens nicht immer so. Die Mein Schiff hieß früher Galaxy und hatte weder Balkone, noch einen Quadratarsch. Das kam alles erst im Umbau dazu – etwa so, als brächte man an einem Ferrari eine Anhängerkupplung und eine Dachreling an.

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Der klassische Kreuzfahrer, wie man ihn aus älteren Schwarzweißfilmen noch kennt – distinguierte Herrschaften mit blauem Goldknopf-Blazer, weißen Hosen und Stock im Arsch tagsüber und dunklem Anzug und Besenstiel im Arsch abends – ist eine ebenso betuchte, wie aussterbende Spezies. Mit offensichtlich gigantischem Erfolg werden neue Zielgruppen für das Kreuzfahren erschlossen, deren geringere Pro-Kopf-Kaufkraft durch Menge mal Marge kompensiert werden muss. Deswegen werden die Schiffe immer größer (das derzeit größte Kreuzfahrtschiff, die Oasis of The Seas, ist mit 390 Metern etwa 100 Meter länger, als die Titanic seinerzeit war), transportieren immer größere Menschenmassen und bieten immer ausgefallenere Vergnügungen – von der Kletterwand am Schornstein bis hin zur Panoramasauna mit Blick auf die offene See (wie ich sie auf Meinschiff genießen durfte). Und das Konzept ist mehr als erfolgreich. Nach der AIDA ging die AIDA 2 vom Stapel, die Meinschiff 2 fährt bereits, Nummer 3 ist im Bau. Immer größer, immer breiter, immer mehr Passagiere und noch viel mehr Spaß an Bord, als auf den jeweiligen Vorgängern.

In stillen Momenten wünschte ich mir das noch in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts gängige Mehrklassenkonzept mit seinen separaten Decks und Bereichen zurück, das nun von einem geradezu kommunistisch anmutenden Konzept abgelöst wurde. Jeder darf überall alles tun, was er will. So wird dann in der kuscheligen Lounge auch einmal das Kleinkind von der Scheiße befreit, in den Hängematten toben Horden schreiender Gören, tatternde Rentner und tätowierte Schalkefans belegen alle verfügbaren Liegestühle oder Sitzplätze früh und dauerhaft.

In den Herbstferien bestand der Großteil der Passagiere aus Familien mit gefühlten Hundertschaften nölender Kleinkinder und Nordrhein-Westfälischen Proleten. All-Inclusive-Unteremittelschichturlaub in vermeintlichem Luxusambiente. Selbst der gehobenere Alkohol ist ebenso massenhaft wie kostenlos vorhanden und trägt das seine zur gelockerten Atmosphäre bei. Cocktailalarm. „Mach ma Fotto, Erwin. Dat is allet so schön hier und bring noch Colarum mit, is ja allet Umme“. Selten auch wurde in meiner Umgebung so viel und so rücksichtslos gequalmt, wie in der vergangenen Woche. Ist ja auch ein gewisser Indikator, nicht wahr?

Beschweren darf man sich darüber natürlich nicht! Die Zustände sind absolut prognostizierbar, wenn man einigermaßen geübt im Übertragen des Reisekatalogsprechs in normales Deutsch ist. Begriffe wie „Wohlfühlatmosphäre“ und „Individualrelaxen“ sollten den Individualurlauber, der sich gerne wohlfühlen möchte, da ausreichend warnen. Selbiger Individualurlauber würde es wohl auch strikt ablehnen, eine Woche in einem zwölfstöckigen Plattenbau mit 1.000 Zimmern und 2.000 Touristen zu urlauben, auch wenn dieser aufgrund ausreichenden Auftriebs in der Lage ist, sich auf dem Wasser von Hafen zu Hafen zu bewegen.

Auf einem solchen schwimmenden Vergnügungspark verbrachte ich also die vergangene Woche von Valetta über Piräus, Kusadasi, Mykonos und Catania zurück nach Valetta. Meine erste Kreuzfahrt, seit ich vor einer gefühlten Ewigkeit als kleiner Stöpsel meinen Vater, der Kreuzfahrten verkaufte, auf einigen solchen als stets jüngster an Bord befindlicher Passagier begleitete. Vielleicht resultiert mein Kulturschock auch aus dem direkten Vergleich.

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Was sich nicht geändert hat: Du läufst mit einem Cruise Liner (so nennen wir Experten das, weil ein gelegentlich eingestreuter Anglizismus gleich erheblich zur nautischen Authentizität beiträgt) in einen Hafen ein und nimmst gleich spanischen Conquestadores sogleich den gesamten Küstenstrich in Beschlag. Zweitausend Menschen ergießen sich lavaartig über die Hafenmole und sodann über das gesamte Land. In großen Häfen wie Piräus fällt das erst dann auf, wenn 3-4 Schiffe am Pier liegen, in kleinen Häfen wie Mykonos reicht schon ein mittelgroßes Schiff, um den Landgang unerträglich zu machen. Verbringt man als erfahrener Reisender seinen Urlaub in der Nähe eines solchen Hafens, ergreift man sofort die Flucht, sobald sich die Silhouette eines Kreuzfahrers am Horizont abzeichnet. Verbringt man seinen Urlaub hingegen an Bord, hat man wenige Alternativen: Auf dem Schiff bleiben und die Ruhe genießen (wobei es sich um eine sehr relative Ruhe handelt, weil die Landgänge der Passagiere regelmäßig für teils lautstarke, teils geruchsintensive Renovierungsarbeiten genutzt werden) oder sich als Bestandteil der Menschenmasse an Land ergießen.

Wie man nach Lektüre der vorangegangenen Absätze unschwer wird einschätzen können, war ich stets einigermaßen froh, das Schiff einmal verlassen zu können. Aufgrund meiner nunmehr bestätigten, seinerzeit aber noch vollkommen, dem eigentlichen Stamm des Begriffes entsprechenden Vorurteile, hielten wir dank generalstabsmäßiger Planung sofort großen Abstand zu den organisierten Landgängen. Mit geringem Aufwand und etwas Internetrecherche ist es möglich, die hochpreisigen, vom Schiff organisierten Touren individuell und für einen Bruchteil der aufgerufenen Kosten selber zu buchen. Einzig den Ausflug „Mit dem Fahrrad durch Athen“, der auf 12 Teilnehmer begrenzt war, habe ich über das Schiff gebucht. Der war auch sehr schön. Ansonsten ließen wir die Kolonnen der wartenden Reisebusse mit einem süffisanten Lächeln hinter uns und wurden von einem freundlichen einheimischen Guide in Empfang genommen, der sein Bestes tat, um die „crazy cruisers“ zu vermeiden.

An Bord – und speziell zu den Mahlzeiten – sind Geduld, Sprintqualität und Beharrungsvermögen hilfreiche Tugenden. So zum Beispiel, wenn man anlässlich des Frühstücks kein Stahlnapfrührei, sondern ein frisch zubereitetes Omelette ergattern möchte (1 Omelettestation – 2.000 Passagiere). Oder wenn man an einem der beliebten Oberdecktische im Freien (an dem ich gerade diese Zeilen schreibe), geschützt vor der Sonne sitzen möchte (12 Tische – 2.000 Passagiere). Ich werde diesen Tisch, den ich nach stundenlangem Warten und einem Sprint (den ich nur mit unfairen Mitteln gegen die nette ältere Dame gewann, indem ich ihr einen Liegestuhl samt Kleinkind vor den Rollator schleuderte) einmal in Beschlag nehmen durfte, bis morgen abend nicht mehr verlassen! Geduld, Antrittskraft und Beharrungsvermögen! Ich sage es euch!

Der blanke Horror sind die Seetage. Alles, was Beine hat, ist an Deck unterwegs, jeder Millimeter des Schiffes mit halbnackten Körpern gepflastert. In den drei Whirlpools an Deck kochen Kindersuppen. Das blanke Grauen!

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Das Essen an Bord ist natürlich gut und reichhaltig. Es gibt ein Buffet-Restaurant mit sehr viel gutem Zeugs, ein etwas feineres gesetztes Restaurant, in dem man aber 2 Stunden braucht, bis man durch die 5 Gänge durch ist (die ersten Menschen stehen da bereits eine Viertelstunde vor Öffnung an, um gute Plätze zu ergattern), eine Tapasbar und 3 weitere Restaurants (Sushi, Steak und Gourmet) in denen man allerdings auf das All-Inclusive noch einmal bis zu 100 EUR (Gourmet) aufzahlen muss, dafür allerdings dem großen Viehtrieb etwas entflieht.

Mein Fazit ist ganz eindeutig: Egal, ob das Konzept „AIDA“, „Mein Schiff“ oder „Wasauchimmer of the Seas“ heißt – all denjenigen von Euch, die sich auf engem Raum zwischen vielen unterschiedlichen Menschen sehr wohl fühlen (Erlebnisbäder, Robbie Williams-Konzerte, Flüchtlingslager) sei eine Kreuzfahrt auf der Meinschiff uneingeschränkt empfohlen. Alle anderen werden sich wohl im Bed & Breakfast wohler fühlen, auch wenn sie dann jedes einzelne Pint im Pub bezahlen müssen. Dat is dann nich allet inklusive, Erwin!

2 Gedanken zu „Kreuzfahrt des Grauens“

  1. An den „Zwangskreuzfahrer“ Ihre Beschreibung ist noch sehr milde ausgefallen .Diese schwimmenden erzhäßlichen Badewannen sind jedem echten Seefahrer ein abschreckender Greul.Zu glauben das habe irgenwie mit Abenteuer zu tun,da muß man schon sehr „einfach“gestrickt sein.Was die fakultaiven
    Landausflüge betriff so wird da selbstverständlich „gnadenlos abgezockt.In diesem Sinne ein ehemaliges Besatzungmitglied
    der Deutschen Handelsmarine

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