Seit einiger Zeit recherchiere ich, ob es in München irgendeine brauchbare Location für 70-80 Leute und eine Band gibt. Irgendwas leicht angeranztes (für die Bayern: „was oreidig’s“), wo man richtig die Sau rauslassen kann, ohne dass irgendwelche Nachbarn im Carré springen. Nichts holzgetäfeltes und keine Wirtschaft mit angeschlossenem Tanzsaal – damit fallen gefühlt 2/3 der Räumlichkeiten schon einmal weg. Und etwas bezahlbares. Damit entfällt ein weiteres Drittel. Ich war schon ziemlich verzweifelt, bis mir ein Hilferuf in meiner verlotterten Twitter-Timeline den entscheidenden Hinweis brachte:
Nunja, ein paar mal mit einer/m Romy hin- und hergemailt und das klang auch alles ganz gut, die Location machte auf den ersten Blick im Internet auch einen brauchbaren Eindruck, also habe ich auf ein interessant klingendes Konzert gewartet, um mir den Laden einmal persönlich anzusehen. Vorgestern war es dann so weit. Ein gewisser Lance Lopez war angekündigt. „Texas Blues“ – genau mein Ding. Leider regnete es bereits auf dem Weg zum Bahnhof – am Ostbahnhof angekommen schiffte es aus Eimern. Nach 20 Minuten Fußmarsch standen wir dann komplett durchnässt vor der Garage. Und die war zu. Mein Kumpel „was stand denn da auf der Ankündigung?“ – Ich: „naja – Lance Lopez. 16.10.“. Nagut. Vorgestern war der 15.10. und der Abend endete in einer versifften Currywurstbude in den Optimolwerken mit 2 Augustinern und 2 mal extrascharf.
Gestern abend dann der erneute Versuch. In Begleitung des Kumpels und eines sehr gut gelaunten Juniors, der am Vorabend wegen eines Schultheaterbesuchs nicht gekonnt hätte. Bei blendendem Wetter. Der Fußmarsch auf direktem Wege war auch 15 Minuten kürzer. Insgesamt also deutlich bessere Vorzeichen als noch vor 24 Stunden. Die Location betraten wir dann stilecht unter einem über der Tür angebrachten Cadillac, innen Autoteile und Konzertplakate (Motörhead, Black Metal & Co an den Wänden). Zeitreise in die frühen 80er. Sehr amtlich. Hätte ich nicht in München vermutet, hat auch was gutes, den Hintern mal wieder hochzubekommen!
Kurz – der Laden entsprach genau meinen Vorstellungen – musste ich nur noch den Besitzer finden und die Bude klarmachen. Hinter dem Thresen eine hübsche Brünette und direkt neben ihr am Zapfhahn ein älterer Typ in Lederjacke. Ich zur Brünetten: „Ist Romy da?“, Brünette: „Muss mal gucken. Was willste denn von dem?“. Ich: „wir haben gemailt, wegen Anmietung“. Daraufhin kommt die Hand der Lederjacke über den Thresen: „Wir machen das immer so. Hier kommen so viele Typen rein, die mir ein Ohr abkauen wollen.“ (wenn, wie in diesem Fall, zwei Herren in Lederjacke und über 1,92 m lichter Höhe vor dem Tresen stehen, ist das vielleicht auch eine ganz brauchbare Strategie. Man weiß ja nie, wer gerade so Schulden oder Schutzgelder eintreibt). Romy hat uns dann die Garage präsentiert. Beim Rundgang kamen wir auch im Backstage-Raum vorbei. Da saß die Band in einer dicken Wolke gesunden Rauches sehr relaxt. Auf dem Tisch stand ein Cooler mit einer Flasche Jack Daniels. Vielversprechend! Als ich zu Romy meinte, dass ja am gleichen Abend auch Ten Years After (yepp – die gibt’s noch!) im Backstage aufträten, kam nur ein knappes: „Die hatte ich auch schon, aber Lance ist besser. Der spielt sich den Arsch ab. Bei jedem Konzert. Wart’s mal ab!“.
Der Laden füllte sich langsam. Insgesamt waren dann wohl so um die 80 Leute da. Das Publikum war mir ganz überwiegend 2-3 Lebensphasen voraus und musste sich über globale Erwärmung keine Sorgen mehr machen. Sehr hoher Sam Elliott-Anteil. Wir senkten den Altersschnitt (na gut. In erster Linie senkte Junior den, aber Chris und ich waren auch noch drunter). 2-3 Halbe später kam die Vorgruppe. Blues Company aus Straubing. Eine Coverband, aber sehr gut unterwegs. Ein bisschen Richtung Cream. Kurze Pause, dann kam Lance Lopez mit Cowboyhut mit einem Bassisten und einem Schlagzeuger auf die winzige Bühne. Und es begann eine religiöse Erfahrung.
Ich erwähnte hier ja schon öfters, dass ich fast ausschließlich noch in möglichst winzige Locations gehe, um mir Konzerte anzusehen (bzw. -hören). Gründe galore:
Du reist ganz entspannt an, keine Einlassschlangen, keine Körperkontrolle. Es gibt keine bulligen Security-Typen, die ihren Testosteronüberschuss irgendwo am Publikum auslassen müssen. Du drängelst nicht schon Stunden vor dem Konzert in irgendwelchen Menschentrauben rum. Du stehst selbst in der hintersten Ecke noch näher an der Bühne, als im Olympiastadion in der allerersten Reihe. Es gibt Bier aus Gläsern und keinen Becherpfand. Die Akustik ist meistens besser und wenn Du dem Mann am Mixpult streng in die Augen blickst und den Daumen hebst, dreht er lauter. Und vor allem: An magischen Abenden verschmelzen Band und Publikum zu einer magischen Einheit. Die Luft glüht, du bist nicht auf einem Großkonzert Teil einer manischen Rinderstampede, die durch die Halle trampelt, sondern da sind nur die Musik, die Band und du. Und Gleichgesinnte. Und das war bei diesem Konzert der Fall.
Bevor ich zur Musik komme, vielleicht noch ein paar Worte über Lance und seinen Hintergrund:
©LastFM über Lance Lopez |
Geboren 1977 in Shreveport, Louisiana. |
Wenn man sich eine Biografie für einen Texanischen Bluesrock-Gitarristen mit street-credibility ausdenken müsste, wäre es wohl diese, oder?
Lance und seine beiden Jungs brauchten genau 4 Takte und 2 Licks, und sie hatten mich. Aber wie. Erdiger Texas-R’n’B, wunderbare Bassläufe, perfektes Schlagzeug. Dazu eine rauchige Raspelstimme und kein näselndes Falsette wie beim frühen Clapton oder bei Bonamassa. Und diese Gitarre. Diese perfekte Technik gepaart mit Gefühl – er spielt den Blues nicht, er hat ihn. Und wie. Derartige Gitarrensoli habe ich bislang nur einmal gehört. Von Bill Gibbons, als der noch 20 Jahre jünger war (und falls jetzt wer um die Ecke kommt und oberklug meint: „Du hast doch auch Brian May in seinen besten Zeiten erlebt“ – das ist nullkommanull vergleichbar, das ist ganz andere Musik). Der Absatz in der Last FM-Biografie schmeichelt ZZ Top – Lance spielt die an die Wand. Ohne Lightshow. Ohne Backgroundvideos. Ohne langbeinige GoGoGirls. Nur der Cowboy und seine Gitarre. Gänsehaut!
Wir haben zweieinhalb (!) Stunden durchgerockt. Er da auf der Bühne und ich hier im Publikum. Wobei das nur 20 cm auseinander war.
Einen Vorteil der kleinen Locations habe ich oben vergessen: Nach dem Konzert sitzt Du mit der Band am Tresen und trinkst ein Bier. Oder auch mehrere. Ein feiner Typ ist das!
Und offensichtlich hat ihm die Show auch gefallen…
Ich bin nicht in der Lage, die Konzerte, die ich so im Laufe meines Lebens bislang sah, in irgendeine Art von Ranking zu bringen. Aber ich bin sehr überzeugt davon, dass dieses Konzert einen Platz in den Top10, wenn nicht Top5 einnimmt.