Gestern war ich in Begleitung eines Freundes in der Carl-Friedrich von Siemens-Stiftung, piekfeiner Laden sag ich euch. Es gab Schnittchen und Sekt und viele Mumien waren da. Aber das war alles nebensächlich. Wichtig war:
András Schiff stellte im Vergleich Bachs Goldberg-Variationen und Beethovens Diabelli-Variationen vor. Zwei Werke, zwischen denen man erst einmal keinerlei Zusammenhang vermutet, zumal vollkommen unklar ist, ob Beethoven die Goldberg-Variationen jemals gehört (oder vielmehr gelesen – er war ja dann taub) hat. Schiff vermutet aufgrund diverser Anspielungen, die er auch anspielte, dass dem so sein muss und meinte, dass Baron Gottfried van Swienten, bei dem sich Ludwig van öfter aufhielt, sicherlich eine Kopie der Variationen besaß und er dort in Kontakt damit kam.
Schiff hat jetzt gerade zu seinem 60. Geburtstag in London beide Werke hintereinander aufgeführt. Bach – Pause – Beethoven. Die Euse ist wohl die einzige, die zu beurteilen weiß, was das bedeutet.
Schiff hat sowieso eine fantastische Kondition. Das Programm gestern war auf 2 Stunden angesetzt. Er wollte bewusst auf eine Pause verzichten, um die Werke in direktem Zusammenhang zu erklären. Nun ist er aber so ins Fachsimpeln gekommen (auf höchstem Niveau! Akkordlehre, Quintenzirkel & Co hat er einfach mal so vorausgesetzt) und hat immer mehr Querreferenzen von A nach B und C aufgezeigt, dass alleine die Goldberg-Variationen schon 2 Stunden brauchten. Er hat wohlgemerkt alle 30 Variationen angespielt und erläutert. Dann stand er auf, nahm einen Schluck Wasser und sagte „Und nun zu Diabelli – jetzt benutze ich dann auch das Pedal!“ (Zitat vorher „Für das rechte Pedal ist bei Bach kein Platz! Die Benutzung des Pedals fängt erst mit Beethoven an“). Er hat dann eben noch eine kurze 10-minütige Parenthese über die Entwicklung vom Cembalo ohne Pedale über das Cembalo mit Pedalen („dienen rein der Registerverschiebung“) und das Hammerklavier bis hin zum modernen Klavier eingeschoben.
Nun, es gibt 30 Goldberg-Variationen (plus Thema, plus Reprise) und 33 Diabelli-Variationen (plus dem – ziemlich doofen, wie ich finde – von Diabelli seinerzeit vorgegebenem Hauptthema). So hat die Veranstaltung – ohne Pause – dann mal locker etwas über 3 1/2 Stunden gedauert. Die Zeit ging aber vorüber wie im Flug
Meine Highlights:
- „ich habe mühsam gelernt, dass man die Goldbergvariationen NIE mit Manschettenknöpfen spielen darf!“ (Bach schrieb für das Cembalo mit 2 Manualen, so dass sich dort die Hände problemlos kreuzen konnten. Wenn man das heute auf einem Manual spielt, muss man also die Hände teilweise über kreuz spielen, was zu Kollisionen führen kann)
- bei der 15. Goldbergvariation hat er diverse Stellen aus den großen Messen Bachs angespielt und es war erstaunlich, welche Themen sich wo wiederfanden
- seine Interpretation und Darstellung der dramatischen 25. Goldbergvariation („die schwarze Perle“)
- die Erklärung der Volkslieder, die Bach in der 30. Variation anspielt, obwohl an dieser Stelle eigentlich der Kanon in der Dezime hätte kommen müssen (jede 3. Variation ist ein Kanon in aufsteigenden Intervallen, also erst in der Sekunde, dann in der Terz usw.): „Bach will, dass der Hörer wieder mit beiden Beinen zu hause ankommt!“
- die Erklärung der ganzen Querreferenzen bei den Diabelli-Variationen zu Bach, Mozart und Haydn (speziell das Don Giovanni Zitat „Notte e giorno faticar“ als ausgestreckter Mittelfinger Beethovens ins Gesicht Diabellis)
Das war ein ganz fantastischer Abend und falls András Schiff die beiden Werke in Eurer Nähe aufführen sollte, geht am Vorabend zur Werkseinführung, das lohnt sich (geht aber vorher aufs Töpchen und trinkt wenig).