Man stelle sich folgendes vor: In der Schulklasse – heutzutage in München nicht unter 35 Schülern zu haben – wird wenige Tage vor der lang geplanten und heiß ersehnten Klassenfahrt der Lehrer mit heruntergelassenen Hosen an die Tafel gemalt, untertitelt mit dem Wort „Schwul!“. Der/die Täter(in) lässt sich nicht ermitteln – es ist nicht einmal klar, ob es sich beim Täter um einen Schüler der entsprechenden Klasse handelt. Der Rektor beschließt darauf zunächst, sämtliche Klassenfahrten der Jahrgangsstufe zu verbieten, lässt sich dann jedoch davon überzeugen, „nur“ alle Schüler der entsprechenden Klasse zu bestrafen, indem er die Klassenkasse einzieht und die Klassenfahrt absagt.
Abstrus? Zu Hart? Nun – genau so hat heute die UEFA den FC Bayern bestraft. Einige Hohlköpfe hatten beim Hinspiel gegen Arsenal im Block 124 ein vielleicht 2,00 m x 1,50 m kleines handbemaltes Leinentuch hochgehalten, auf dem ein Londoner Spieler mit heruntergelassenen Hosen vor einer Kanone zu sehen war. Untertitelt war das Machwerk mit den Worten „Gay Gunners“ und „Tirol“. Um in einem Fußballstadion mit einem Fassungsvermögen von 70.000 Menschen aufzufallen, war dieses Handtuch – im Nachhinein muss man wohl sagen „leider“ – zu unscheinbar, so dass Ordner und Verein (die in Zeiten des Hoeneß-Urteils derzeit schon akribisch genau prüfen, welche Banner mit welchen Inhalten wo aufgehängt werden) nicht reagiert haben. Überhaupt kenne ich niemanden, dem das fragwürdige Transparent während des Spiels aufgefallen wäre.
Delikat ist die Tatsache, dass es sich bei Block 124 nicht etwa um einen Block der Südkurve handelt, deren eigenartigen schalbehangenen, hoodietragenden, fanatischen Gestalten man derlei ja latent stets zutraut, sondern vielmehr um einen sog. Sponsorenblock – den Block, in dem sonst während der Bundesligaspiele mehrere Angestellte eines Telekommunikations-konzerns ein weißes „T“ bilden. Einen Block, für den man i.d.R. Karten über diesen Sponsoren bekommt. Einen Block, in dem i.d.R. Geschäftspartner und Firmenfreunde sitzen, aber wohl nur sehr sehr selten echte Fans.
Die UEFA hat nun wie folgt geurteilt:
UEFA-Urteil zum „Gay Gunners“ Plakat |
UEFA Champions League round of 16 second leg: FC Bayern München 1-1 Arsenal FC, 11 March 2014Discriminatory behaviour of Bayern supporters (Article 14 UEFA Disciplinary Regulations) and the displaying of an illicit banner (Article 16(2e) DR).The UEFA Control and Disciplinary Body has decided:
To order the partial closure of the Fußball Arena München. In particular, the closure of sector 124 for Bayern’s next UEFA competition home match, namely their UEFA Champions League quarter-final second leg against Manchester United FC on 9 April. To fine the German club €10,000 for the displaying of an illicit banner. |
Im Gespräch soll angeblich sogar die gesamte Sperre des Unterrangs der Gegengerade gewesen sein.
Nun ist es durchaus richtig, dass es sich hier nicht um ein Kavaliersdelikt handelt. Das Transparent war (einmal abgesehen davon, dass es extrem schlecht gezeichnet und umgesetzt war. Ich kann den angeblich dargestellten Özil nicht wirklich erkennen) ebenso dumm wie homophob und gehört weder ins Stadion, noch zu einem Spiel der UEFA, die sich aktiv gegen Rassismus und Diskriminierung einsetzt. Deswegen jedoch einen kompletten Stadionblock zu sperren ist abstrus und schießt – bleiben wir beim Bild der Gunners –mit Kanonen auf Spatzen.
Erst durch die Medien erhielt das Machwerk überhaupt die Öffentlichkeit, die es nie verdient hätte (Daily Mail, Mirror).
Angemessen wäre es gewesen, dem FC Bayern Gelegenheit zu geben, die Täter zu ermitteln und anzuklagen. Auch eine Geldstrafe als Spende an eine schwule oder lesbische Organisation wäre denkbar gewesen. Aber eine komplette Blocksperre? Die Bestrafung von 100% unschuldigen Zuschauern (die ja bereits ein Ticket für den Block erworben haben, zumal es unwahrscheinlich ist, dass die Täter im Viertelfinale wieder im Block anzutreffen sind) und die Bestrafung eines Vereins und einer Fanszene, die wohl weniger homophob ist, als die der meisten anderen Vereine – als Beleg möge die gute Zusammenarbeit des schwul-lesbischen Fanclubs Queerpass mit der gesamten sonstigen Fanszene dienen – ist schlicht eine wenig durchdachte und falsche Reaktion.
Queerpass hat auf den Vorfall meines Erachtens übrigens angemessener reagiert, als die UEFA!
Die Debatte ist auf Twitter derzeit noch in vollem Gange. Die Befürworter der harten Strafe argumentieren mit der abschreckenden Wirkung des Urteils und mit der ausgebliebenen Reaktion des Vereins/der Ordner während des Spiels. Das lässt sich nicht von der Hand weisen, ist aber etwa so, als würde ich mein Haus in die Luft sprengen, um endlich das Ungeziefer loszuwerden.
Die zentrale Frage ist wohl, ob der Verein, bzw. die Ordner als dessen Exekutive, das kleine, ekelhafte Plakat überhaupt bemerkt und dennoch nicht reagiert haben. Nachdem das UEFA-Urteil nun heute verkündet (und bislang vom Verein nicht angefochten) wurde, dürfte diese Frage wohl aber unbeantwortet bleiben.